Glosse zur Absage des Klassik Open Air

Die zweierlei Maß von Nürnberg und München

3.7.2021, 12:48 Uhr
Die Nürnberger Maß und die Münchner Maß. 

© Foto: Thomas Heinold Die Nürnberger Maß und die Münchner Maß. 

Das Klassik Open Air im Nürnberger Luitpoldhain abgesagt, weil nur 1500 Besucher auf das weitläufige Gelände gedurft hätten! Auf den viel kleineren Max-Joseph-Platz vor der Bayerischen Staatsoper München dürfen am 31. Juli aber 2000 Menschen den Klängen von Wagners „Tristan und Isolde“ lauschen.

Auch der Odeonsplatz gleich nebenan ist längst nicht so groß wie der Luitpoldhain, aber zum dortigen Freiluftkonzert „Klassik am Odeonsplatz“ dürfen ebenfalls 2000 Zuschauer – und das Konzert wird am 9. und 10. Juli insgesamt vier Mal gegeben.

Wenn man jetzt noch an die 14.000 Zuschauer denkt, die in München jeweils bei den Spielen der Fußball-Europameisterschaft erlaubt sind, scheint der Fall klar zu sein: München wird bei den Corona-Genehmigungen für Publikumszahlen gegenüber Nürnberg klar bevorzugt, es wird mit zweierlei Maß gemessen!

Und die Nürnberger Maß ist höchstens halb so groß wie die Münchner Maß! Macht ja nichts, könnte man lästern, der Franke kennt es ja nicht anders.

Was auch erklären würde, warum Günther Beckstein in seinem Zwischenspiel als Bayerischer Ministerpräsident ins Bierzelt rief, ein Autofahrer sei nach zwei Maß noch fahrtüchtig. Er dachte dabei halt an die Nürnberger Maß.

Abgesagt, weil nur 1500 Zuschauer in den Luitpoldhain gedurft hätten: Ein Bild vom Klassik Open Air aus besseren Tagen.

Abgesagt, weil nur 1500 Zuschauer in den Luitpoldhain gedurft hätten: Ein Bild vom Klassik Open Air aus besseren Tagen. © Günter Distler

Aber die alte Platte von der dauerhaften Benachteiligung Nürnbergs gegenüber der Bayerischen Landeshauptstadt liefert bei den zulässigen Zuschauerzahlen nicht die komplett passende Begleitmusik, da spielen schon noch andere Töne rein.

Zum Beispiel solche vom Eigen-Engagement. Bei „Klassik am Odeonsplatz“ kombinieren die Veranstalter das Zuschauerkonzept mit einem wissenschaftlichen Pilotprojekt des Freistaats und der Stadt München zur Untersuchung möglicher Corona-Infektionen.

Spätestens hier nun muss man fragen: Wieso kriegt die Stadt Nürnberg so eine Zusammenarbeit nicht hin und stellt ein vergleichbares Projekt fürs Klassik Open Air auf die Beine? Hat sich die Stadtspitze nicht darum bemüht, ist sie gar nicht auf so eine Idee gekommen? Oder ist das Nürnberger Event im Vergleich zu den Münchner Events doch nicht attraktiv genug?

Welches Maß und wieviel Maß hält er beim Autofahren für angemessen? Der ehemalige Bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein.

Welches Maß und wieviel Maß hält er beim Autofahren für angemessen? Der ehemalige Bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein. © Michael Matejka, NN

Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Als Innovator und Antreiber für neue Ideen, um in Corona-Zeiten große und gewichtige Kulturereignisse möglich zu machen, nimmt man die Nürnberger Stadtspitze um OB Marcus König in der Öffentlichkeit allerdings derzeit nicht gerade wahr.

Der Eindruck drängt sich auf, dass seit dem Scheitern der Kulturhauptstadtbewerbung und der Absage des Konzertsaalneubaus eine große Erschöpfung eingetreten ist – vergleichbar mit der Endphase der Ära Jogi Löw.

Wobei sich Vergleiche zwischen Kultur und Fußball eigentlich verbieten. Die UEFA als Veranstalter der Fußball-Europameisterschaft hält wie das alte Reisekönigtum der Staufer Hof in den europäischen Staaten, lässt sich attraktive Angebote machen – und wählt die für sie besten aus.

Bei der Live-Übertragung von Wagners "Tristan und Isolde" dürfen auf den Max-Joseph-Platz vor der Bayerischen Staatsoper München immerhin 2000 Zuschauer.

Bei der Live-Übertragung von Wagners "Tristan und Isolde" dürfen auf den Max-Joseph-Platz vor der Bayerischen Staatsoper München immerhin 2000 Zuschauer. © Foto: Wilfried Hösl, Bayerische Staatsoper

Dann dürfen halt auch 14.000 Zuschauer pro Spiel nach München - in Budapest und anderen Austragungsorten sogar noch deutlich mehr. Und Baku liegt dank der guten Connections von Aserbaidschan plötzlich mitten in Europa. Da wirkt selbst die Münchner Maß plötzlich ziemlich klein.

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