Diese "Traviata" begeistert Nürnberg

30.1.2012, 08:17 Uhr
Diese

© Olah/Theater

Und weil Konwitschny von seiner Burn-out-Krise der letzten Wochen augenscheinlich genesen ist, konnte er seit letztem Mittwoch selbst die Endproben leiten und so der zuvor von seiner Assistentin Mika Blauensteiner für Nürnberg einstudierten Grazer Inszenierung den letzten entscheidenden Schliff geben. Das Resultat: Am Samstagabend ging am Richard-Wagner-Platz der größte Premierenerfolg seit langem über die Bühne, die Ovationen des Publikums wollten kaum enden, Konwitschny selbst applaudierte noch aus dem Parkett begeistert dem Nürnberger Ensemble und insbesondere Hrachuhí Bassénz in der Partie der Violetta. Kein einziges Buh trübte den Jubel, eine Erfahrung, die gerade für den immer mal wieder mit dem Etikett des Provokateurs versehenen Regisseur durchaus nicht selbstverständlich sein dürfte.

Dabei geht er mit seinen nunmehr 67 Jahren diese „Traviata“ keineswegs altersmilde an. Radikal reduziert sein Ausstatter Johannes Leiacker die Bühne auf einen Stuhl und sieben Vorhangreihen, entschlossen verzichtet Konwitschny auf eine Pause und verdichtet zudem die Handlung durch einige Striche im eher atmosphärischen musikalischen Beiwerk – die Stierkämpferchöre im Fest des 2. Akts und die Karnevalsbacchanale im 3. Akt.

So konzentriert sich wie in einem Kammerspiel alles auf das Dreieck der Hauptfiguren: Die tödlich an Schwindsucht erkrankte Kurtisane Violetta Valery, der sie liebende Alfredo und sein diese Beziehung zerstörender Vater Giorgio Germont. Mit leichter Hand schafft Konwitschny starke Bilder für Violettas Verlorenheit inmitten der gierig und enthemmt sie umkreisenden Pariser Feiergesellschaft, die in klassischer Abendgarderobe, mit Sektflöten bewaffnet, bei Bedarf flink hinter den Vorhängen hevortanzt und dort wieder verschwindet. Alfredo und Violetta für eine Nacht zu verkuppeln, ist für sie ein Partygag, sonst nichts.

Doch zwischen den beiden entflammt echte Liebe, was Violetta in eine Krise stürzt. Im schwarzen Pagenschnitt, mit dickem Kajal wie eine Mireille Mathieu für böse Mädels als leicht zu lutschender Party-Bonbon zurechtgemacht, wird ihr klar, wie hohl ihr Leben bislang war („È strano! È strano!“). Dass dieses Bild der einsam auf einem Stuhl vor rotem Vorhang sitzenden Frau so stark wirkt, ist nicht nur ein Verdienst der effektvollen Personenregie und von Bassénz’ farbfüllig timbriertem, leidenschaftlich, differenziert und höhensicher artikulierendem Sopran.

Die Töne steigen aus der Schwärze des Nichts auf

Nein, auch Marcus Bosch am Pult der Staatsphilharmonie Nürnberg musiziert psychologisch geschärft, lässt die Töne immer wieder aus der Schwärze des Nichts aufsteigen, setzt, wo nötig, klug Verzögerungen oder lässt, etwa bei der feierwütigen Gesellschaft, den Klang dämonisch anschwellen, während sich in den flirrenden hohen Streichern des Vorspiels bereits die Krankheit und Verletzlichkeit Violettas andeuten.

Diese „Traviata“ entwickelt ihre tragische und emotionale Wucht dank des sinnfälligen und stringenten Zusammenwirkens von Musik und Regie. Konwitschny bricht dabei die Perspektive, lässt Alfredo vom Parkett aus das Ringen Violettas zwischen Liebe und ihrer bisherigen vergnügungssüchtigen Existenz („Follie! Follie delirio vano è questo!) miterleben. Zum gleichen Mittel greift er im Finale: Alfredo, Germont, Annina (Eleonora Vacchi) und Doktor Grenvil (Vladislav Solodyagin) müssen von dort aus das einsame Ende Violettas ansehen. Der Orchestergraben trennt die Lebenden von der Sterbenden, die den schwarzen Vorhang des Todes an der Bühnenrückwand durchschreitet.

Der Coup aber gelingt Konwitschny im 2. Akt: Giorgio Germont, den Mikolaj Zalasinski mit kräftigem Bariton wie den schicksalsmächtigen Mozartschen Komtur singt und spielt, bringt die sonst nur im Libretto erwähnte Schwester Alfredos mit auf die Bühne. Ein Kind ist sie hier – so wird das Druckmittel in Giorgios Argumentation, Violetta zur Aufgabe Alfredos zu drängen, leibhaftig. Wenn das zarte Wesen – von Marika Brunner mit großer Bühnenpräsenz verkörpert –, das von seinem Vater rücksichtslos herumgeschubst wird, auf dem Boden liegt und schluchzt, ist das jener entscheidende emotionale Verstärker, der Violettas Verzicht auf Alfredo („Dite alla giovine...“) und später ihrem Abschied von ihrem Geliebten eine außerordentlich schmerzhafte Intensität gibt.

Dieser Einschnitt bringt auch Giorgio ins Wanken und macht seinen – zu späten – Gesinnungswandel zugunsten Violettas glaubhaft, nachdem er mitansehen musste, wie sein Sohn Alfredo die Trennung von Violetta nicht verkraftet und sie auf einem Fest öffentlich demütigt. Fulvio Oberto überzeugt als körperlich schmächtiger Alberto, der anfangs wie ein linkischer Bücherwurm daherkommt, aber gerade mit seinem eigenbrötlerischen Intellekt die mit Männern mehr als gesättigte Violetta für sich gewinnen kann. Sein Spinto-Tenor bewältigt den Wandel von schüchterner Liebe zu schmerzerfüllter und wütender Raserei mühelos und vervollkommnet das starke Dreieck der Hauptfiguren.

Nach nicht einmal zwei Stunden ist Konwitschnys radikale und atemlos machende „Traviata“ schon vorbei. Es bleibt hier nur die Empfehlung: Nicht versäumen, unbedingt hingehen!

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