Kinofilm verdeutlicht Strukturwandel

Ende des Glücks: Berlinale-Gewinner über das Schicksal einer spanischen Familie

Regina Urban

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11.8.2022, 14:57 Uhr
Aus dem Film "Alcarràs - Die letzte Ernte": Zwischen all dem Ärger gibt es auch die schönen Momente, in denen die Familie Solé zum Essen zusammenkommt. 

© Pfiffl Medien GmbH, epd Aus dem Film "Alcarràs - Die letzte Ernte": Zwischen all dem Ärger gibt es auch die schönen Momente, in denen die Familie Solé zum Essen zusammenkommt. 

Seit Generationen lebt die Familie Solé vom Obstanbau auf ihrer Plantage in Alcarràs im Nordosten Spaniens. Doch in diesem Sommer soll nach der Ernte Schluss sein. Das Land gehört ihnen nicht. Der Vater von Rogelio Solé hatte es als Dank von dem Großgrundbesitzer Pinyol erhalten, dem er im Spanischen Bürgerkrieg das Leben rettete. Einen schriftlichen Vertrag gibt es nicht, damals reichte ein Handschlag. Der Enkel Pinyols aber hat andere Pläne, er will auf der Plantage einen Solarpark errichten, weshalb den Solés jetzt die Vertreibung droht.

Die 1986 geborene Filmemacherin Carla Simón, die selbst im ländlichen Katalonien aufwuchs, wo ihre Familie Pfirsiche anbaute, widmet sich in „Alcarràs – Die letzte Ernte“, ausgezeichnet mit dem Goldenen Bären der diesjährigen Berlinale, einem brisanten Thema. Auch in ihrer Heimat wird die traditionelle Landwirtschaft zunehmend von ertragreicheren Industrien verdrängt. Für die Solés spielt es dabei keine Rolle, ob sie einer Zukunftstechnologie wie dem Solarpark weichen müssen oder einem Golfplatz.

Dass auch die europäische Agrarpolitik und die Billigpreise der Supermarktketten es den Bauern immer schwerer machen, von ihrer harten Arbeit zu leben, wird in den wütenden Protesten der Genossenschaft thematisiert. Doch das Herz des Films bildet die drei Generationen umspannende Großfamilie Solé, für die Simón ein fabelhaftes Ensemble von Laien-Darstellern castete, die alle aus der Gegend um Alcarràs stammen. Josep Abad etwa, der den Großvater Rogelio spielt, war sein Leben lang Bauer. Wenn er frühmorgens durch die Felder streift oder die reifen Früchte vor der Ernte sorgsam prüft, sieht man ihm die innige Verbundenheit mit seinem Land und seiner Arbeit an.

Vielseitige Charaktere

Der 80-Jährige kann es nicht fassen, dass das Wort von einst nichts mehr gilt. Er verstummt zusehends und versucht, den jungen Pinyol umzustimmen, wenn er ihm Feigen bringt von dem Baum, den dessen Großvater selbst gepflanzt habe. Quimet wiederum, der die Plantage von seinem Vater übernommen hat, stürzt sich voller Wut und Verzweiflung in die Arbeit und will die bittere Realität nicht wahrhaben. Sein Sohn Roger, der im Maisfeld heimlich Marihuana anbaut und eigentlich für die Schule lernen soll, packt bei der Ernte fleißig mit an, kann es dem Vater aber nie recht machen.

Und während die pubertierende Tochter Mariona altersgemäßen Interessen nachgeht, bemüht sich Ehefrau Dolors – auch mit handfester Autorität – um ausgleichende Balance. Derweil beginnen Quimets jüngere Schwester und ihr Mann sich in das Unausweichliche zu fügen. Die Familie könnte künftig die Solarpaneele warten, hatte Pinyol angeboten. Damit hätten sie weniger Arbeit und würden mehr verdienen als mit Pfirsichen.

Generationen- und Geschlechterkonflikte brechen angesichts der ungewissen Zukunft auf. Doch ist bei der Arbeit, den ausgelassenen Festen und in den leisen Momenten stets auch der familiäre Zusammenhalt spürbar. Am schönsten sind die Szenen, die sich ganz auf die drei kleinen Kinder konzentrieren. Für sie ist die Plantage ein einziger großer Abenteuerspielplatz – ein Paradies, das die Kamera noch einmal in traumhaften Bildern durchstreift, bevor es verschwindet. Dröhnend laut kündigt sich der technische Fortschritt an.

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