Enttäuschende "Story meines Lebens"

17.10.2017, 12:15 Uhr
Enttäuschende

© Foto: Hans-Joachim Winckler

"Jedes Mal, wenn ich Wagner höre, habe ich das Bedürfnis, in Polen einzumarschieren." Ja doch, Woody Allen formuliert gern pointiert und zugespitzt. Und zu gern würde man sich nach diesem Fürther Premierenabend zu schreiben trauen: Nach 100 Minuten "Die Story meines Lebens" müsste dringendst ein Pionierbataillon der Bundeswehr ausrücken. Für die Beseitigung mittelgebirgsgroßer Kitsch-Haufen braucht es nun mal Profis.

Und es fehlte eigentlich nur noch eine Catering-Brigade, die während des langen Abends Lebkuchen in den Saal wirft. "Die Story meines Lebens" ist aber dann irgendwie doch nicht das aktuelle Weihnachtsstück des Stadttheaters Fürth. Obwohl Weihnachten, Weihnachten und, drittens, Weihnachten ein Leit- und Leidensthema ist, das die beiden Herren auf der erfreulich übersichtlichen Bühne (Lars Peter, Azizah Hocke) nicht loslässt.

Neil Bartrams und Brian Halls 2006 in Toronto uraufgeführtes Kammerspiel-Musical wurde, das gehört zur Wahrheit, oft gespielt, ganze fünf Mal am Broadway sogar — was sich problemlos mit "Totalflop" übersetzen ließe. Auch die deutschsprachige Erstaufführung in Wien rauschte ohne Fortune zurück in den Fundus. Aus Gründen. In Fürth ahnt man jedenfalls nach wenigen Minuten, welchen Webfehler dieses Werk hat. Pathos und Kitsch sind nämlich, zumal im Musicalgewerbe, schön und gut. Doch man muss sich das leisten können, sonst wird’s entsetzlich peinlich.

Bartram und Hall leisten sich den Klops, einen glimmenden Holzscheit von einem der erwärmendsten Stoffe der amerikanischen Kinohistorie zu räubern, um für sich selbst ein Lichtlein anzuzünden. In Frank Capras "Ist das Leben nicht schön?" hält der putzige Engel Clarence den depressiven, tief gefallenen George Bailey (James Stewart) vom finalen Brückensprung ab. Zur Weihnachtszeit natürlich.

Im mythischen Schein dieses Films versucht "Die Story meines Lebens" ein Sonnenbad zu nehmen. Eine Referenzgröße, die zu groß ist. Tom und Alvin, beste Freunde seit dem ersten Schultag, berufen sich beim Schneeengel-Bauen, Ritual aus sehr frühen Kindertagen, auf ihren Lieblingsfilm, als große Jungs treffen sie sich stets zu Weihnachten. Und zu Weihnachten beschließt Alvin, inzwischen groß und ein Buchhändler, sich das Leben zu nehmen. Auf einer Brücke. Ist das Leben nicht gruslig? Ja, ist es. Und wenn man binnen 100 Minuten zum x-ten Mal die zwei da vorn von Engeln und Engelchen hat babbeln hören, würde man von der Leyen gern schon vorm Schlussapplaus anrufen.

Befremdlich ist, wie hemmungslos die Musical-Macher ans Werk gehen, um ein Geschichtlein über Jungs zur Geschichte hochzujazzen. Alvins Mutter stirbt, da ist er fünf. Alvins und Toms Lehrerin stirbt, da sind sie zwölf. Alvins Vater stirbt, da ist er soeben erwachsen geworden. Weniger als das ganz große Schicksals-Karo kann diese "Story" nicht, und eben das ist rasch durchschaut als kunst- und gunstgewerbliche Backenaufplusterei.

Gleichwohl hat das dramaturgische Grundgerüst eine passable Statik. Tom, der sich mit den "richtigen" Trauerrede-Worten quält, beginnt auf einer mit Papierstapeln drapierten Szenerie den inneren Monolog mit Alvin, der ihn, hallo Engel, auf der Reise zu den Hauptstationen ihrer Freundschaft begleitet. Eine Station dieser Zeitreise steuern sie mehrfach an, sie ist Knackpunkt der Beziehung: Toms Kreativ-Desaster bei der Rede auf Alvins verstorbenen Dad.

Die deutsche Übersetzung, die die Darsteller Thomas Borchert und Jerry Marwig gleich selbst erledigt haben, läuft rund und hat hier und da fein gesetzte, herzerwärmende Gags. Mit 14 etwa schaut der eine Schmetterlingen hinterher, der andere lieber den Kurven von Miss April im Heft aus Papas Schublade. Der Miss-Anbeter avanciert zum immer blasierteren Bestseller-Star, der andere zum introvertierten verlorenen Sohn und Freund.

Viel Cello

Der Schriftsteller, der Buchhändler, Slim-fit-Anzug hier, Holzfäller-Schlurfigkeit dort: Wer inspirierte hier wen, wer hätte wann wen zuerst mal anrufen müssen? Darüber wird viel, sehr viel gequasselt und gesungen. Ein von Stephan Sieveking angeführtes Quartett macht mit reichlich Sinn für Präzision Musik, die klingt, als hätten sich Billy Joel und George Gershwin um den Soundtrack für einen Disney-Film beworben. Wenngleich es anfangs auch ein Pilcherfilm-Intro hätte sein können. Und wenn’s mal so richtig traurig wird: viel Cello. Es wird oft traurig.

Respekt gebührt Borchert (Tom) und Marwig (Alvin) für eine starke Konzentrationsleistung und eine nicht ganz uneitle Performance, die Regisseur Martin Maria Blau nicht weiter mit Ideen stört. Fokussiert, hellwach und geschmeidig liefern die beiden ab, was hier abzuliefern ist und was man von Musicalstars mit ihrem Referenz-Register erwarten darf. Mehr aber auch nicht. Für den großen Jubel der Fans reicht’s.

ZWeitere Termine: 17. bis 22. Oktober, jeweils 19.30 Uhr. Karten-Tel.: 09 11 / 9 74 24 00.

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