Gibt es genügend Frauen in Klassik-Orchestern?

4.3.2021, 17:00 Uhr
Die junge, international gefragte Dirigentin Joana Mallwitz ist das Aushängeschild der Nürnberger Klassikszene. Als Generalmusikdirektorin ist sie Chefin der Staatsphilharmonie Nürnberg, eines Orchesters mit 102 Musikerinnen und Musikern. Wie hoch der Frauenanteil dort ist und wie sich die Frauen verteilen, hat nun eine großangelegte Studie des Musikinformationszentrums untersucht.

© Ludwig Olah Die junge, international gefragte Dirigentin Joana Mallwitz ist das Aushängeschild der Nürnberger Klassikszene. Als Generalmusikdirektorin ist sie Chefin der Staatsphilharmonie Nürnberg, eines Orchesters mit 102 Musikerinnen und Musikern. Wie hoch der Frauenanteil dort ist und wie sich die Frauen verteilen, hat nun eine großangelegte Studie des Musikinformationszentrums untersucht.

Sind klassische Orchester eine Männerdomäne? In der Gegenwart eindeutig ja, doch die Zukunft wird massive Änderungen bringen, könnte die zusammenfassende Antwort lauten. Tatsächlich spiegeln sich in den Klangkörpern bestehende gesellschaftliche Machtverhältnisse ebenso wider, wie auch deutliche Wandlungstendenzen zu erkennen sind.

Um den Fragen zum Geschlechterverhältnis auf den Grund zu gehen, hat das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) nun erstmals eine große Studie durchgeführt, an der sämtliche 129 öffentlich finanzierten Orchester in Deutschland beteiligt waren. Die Untersuchung differenzierte dabei den Frauen- und Männeranteil nach Instrumentengruppen ebenso wie nach Führungspositionen wie Konzertmeister- oder Solistenstellen.


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Darüber hinaus wurden unterschiedliche Altersgruppen untersucht. In Nürnberg waren die Staatsphilharmonie (insgesamt 102 Musikerinnen und Musiker) und die Nürnberger Symphoniker (67 Musikerinnen und Musiker) an der Untersuchung beteiligt.


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Generell beträgt der Frauenanteil in allen öffentlich finanzierten Orchestern derzeit knapp 40 Prozent. Frauen sind also unterrepräsentiert – dieses Phänomen zeigt sich besonders deutlich in den Führungspositionen, wo der Frauenanteil nur noch 30 Prozent beträgt. Bei der Staatsphilharmonie Nürnberg sind die Anteile etwas ausgewogener: von 41 Führungspositionen im Orchester sind 15 mit Frauen besetzt, das sind 36 Prozent.


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Die Nürnberger Symphoniker machen – bei einem generellen Frauenanteil von 42 Prozent im Orchester (die Staatsphilharmonie liegt mit 41 Prozent quasi gleichauf) – hierzu keine aufgeschlüsselten Angaben, allerdings sind bei den Symphonikern die exponiertesten Führungspositionen mit Frauen besetzt. Anna Reszniak ist 1. Konzertmeisterin; Tetyana Gapeyeva ist 2. Konzertmeisterin.


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Noch größer wird das geschlechtsspezifische Ungleichgewicht in Führungspositionen bei den sogenannten Spitzenorchestern. Hier orientierte sich die miz-Studie an der tariflichen Eingruppierung. Für die gilt: je höher diese ist, desto besser ist das Orchester. In der höchsten Tarifstufe finden sich 21 Orchester, bei diesen Spitzenorchestern beträgt der Frauenanteil in Führungspositionen nur noch gut 20 Prozent.

Die erste Frau kam 1982

Das ist Folge einer ausgeprägten patriarchalischen Tradition in diesen Klangkörpern: Manche Spitzenorchester haben sich sehr spät überhaupt für Frauen geöffnet, wie zum Beispiel die Berliner Philharmoniker, die erst 1982 die erste Frau in ihren Reihen aufnahmen – es war die Geigerin Madeleine Carruzzo. Im öffentlichen Gedächtnis blieb jedoch der Streit um die zweite Frau im Orchester, die Klarinettistin Sabine Meyer, für die sich der damalige Chefdirigent Herbert von Karajan erfolglos stark machte, bis es zum Eklat kam.


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Zu diesen Spitzenorchestern zählen in der Region die Bamberger Symphoniker. Ihr Frauenanteil in den Führungspositionen liegt laut Angaben des Orchesters mit gut 23 Prozent etwas höher als in der Vergleichsgruppe. Dafür hinkt der Frauenanteil im gesamten Orchester mit 36,1 Prozent ein wenig dem bundesdeutschen Durchschnitt von 40 Prozent hinterher.

Unterm Strich sind also die klassischen Berufsorchester ein Spiegelbild der Gesellschaft im Kleinen: je höher die Position in der Hierarchie, je weiter oben im Ranking sich der Arbeitgeber (also das jeweilige Orchester) befindet, desto niedriger fällt der Frauenanteil aus.

Betrachtet man das Männer-Frauen-Verhältnis jedoch auf der Zeitachse, so gibt es genügend Daten, die für die Gegenwart und die Zukunft einen deutlichen Wandel nahelegen. In der Altersgruppe 45plus sind in den Orchestern die Männer noch deutlich überrepräsentiert. 72 Prozent Männer sind es in dieser Altersgruppe bei der Staatsphilharmonie Nürnberg.

Die Symphoniker zählen etwas anders, doch die Tendenz ist die gleiche: von den 28 Frauen im Orchester sind nur 4 in der Gruppe der über 50-Jährigen. Dieses stärkere Frau-Mann-Ungleichgewicht betrifft aber jenen Teil der Orchestermusiker, die langsam aber sicher auf den Ruhestand zusteuern und Klangkörper vergleichsweise bald verlassen.


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In der Altersgruppe zwischen 25 und 45 Jahren ist das Verhältnis von Frauen und Männern fast ausgewogen (mit noch einem leichten Plus für die Männer). Die Staatsphilharmonie Nürnberg weist hier einen Frauenanteil von 48 Prozent aus, liegt also präzise im Bundestrend.

In den Jugendorchestern und an den Musikhochschulen sind Frauen jedoch inzwischen klar überrepräsentiert – dort werden die Orchestermusiker der Zukunft ausgebildet. Es wäre aber zu einfach zu sagen, die nächsten Jahre werden durch den demografischen Wandel der Beschäftigten quasi automatisch für ein ausgewogenes Frauen-Männer-Verhältnis sorgen. Den Akteuren der Kulturpolitik bleibt nach den Daten der miz-Studie auf jeden Fall die Aufgabe, Anreize oder Vorgaben zu schaffen, um den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen.

Darüber hinaus gibt es in Berufsorchestern beim Frauen-Männer-Verhältnis eine deutliche Differenzierung nach Instrumentengruppen. Bei den Streichinstrumenten dominieren die Frauen (umso mehr, je höher die Stimmlage des jeweiligen Instruments), Bläser und Schlagwerk sind eher Männerdomänen. Staatsphilharmonie und Symphoniker liegen hier voll im Trend, auch die Bamberger Symphoniker sind mit von der Partie.

Am äußersten Ende dieses Spektrums befinden sich die Harfe mit einem Frauenanteil von 88 Prozent (Staatsphilharmonie Nürnberg 100 Prozent bei zwei Musikerinnen) und die Tuba mit einem Männeranteil von 98,1 Prozent (Staatsphilharmonie 100 Prozent bei zwei Musikern). Diese Unterschiede sind tatsächlich gewaltig und müssten – will man in Zukunft etwas daran ändern – schon sehr früh durch entsprechende Förderprogramme an Grundschulen und in den Musikschulen angegangen werden.

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