Große Ambitionen: ARD zeigt Mega-Projekt "Babylon Berlin"

30.9.2018, 14:12 Uhr
Trenchcoat, Hut, Krawatte - so traten Kommissare noch in den 1920er Jahren auf. Der von Volker Bruch gespielte Gereon Rath stößt in der teuersten deutschen Serie aller Zeiten auf eine Verschwörung gewaltigen Ausmaßes.

© ARD Degeto/X-Filme/Beta Film/Sky Deutschland/Frédéric Batier Trenchcoat, Hut, Krawatte - so traten Kommissare noch in den 1920er Jahren auf. Der von Volker Bruch gespielte Gereon Rath stößt in der teuersten deutschen Serie aller Zeiten auf eine Verschwörung gewaltigen Ausmaßes.

Sie ist die teuerste deutsche Serie aller Zeiten und hierzulande das Serien-Mega-Projekt schlechthin: "Babylon Berlin". Viel steht deshalb für die ARD auf dem Spiel, wenn das Format am 30. September 2018 seine Premiere im Ersten feiert. Wie wichtig der öffentlich-rechtlichen Arbeitsgemeinschaft der Erfolg seiner absoluten Prestige-Produktion sein muss, lässt sich schon alleine am Startdatum ablesen.

Serienstart am Tatort-Sendeplatz

Fast ein Jahr ist verstrichen, seit "Babylon Berlin" seine Weltpremiere bei Koproduzent Sky feierte. Im Ersten sind die Programmplätze rar gesät. Die Aufgabe, gleich 16 Episoden einer Serie unterzubringen, deren Ambitionen man im Serien-Entwicklungsland Deutschland sonst vergeblich sucht, gestaltet sich daher schwierig. Für "Babylon Berlin" geht die ARD aufs Ganze und legte die Premiere auf einen Sonntagabend, wo zwischen sieben und zehn Millionen Menschen sonst den "Tatort" verfolgen, ehe die Serie danach auf den Donnerstagabend wechselt.

Damit feiert "Babylon Berlin" zu einem Zeitpunkt Premiere, als die Produktion schon längst hohe Wellen geschlagen hat. In Deutschland hat die Historienserie, die neben Sky Deutschland und ARDs Degeto Film auch von den Produktionsfirmen X Film Creative Pool und Beta Film entwickelt wurde, schon reichlich Renommee. Vier deutsche Fernsehpreise, eine Goldene Kamera, ein Grimme-Preis – mehr geht nicht in Deutschland.

Mit durchschnittlich knapp 950.000 Zuschauern im Erstausstrahlungszeitraum erzielten die in einem Rutsch ausgestrahlten ersten beiden Staffeln darüber hinaus neue Rekorde im deutschen Pay-TV. Was für deutsche Formate noch seltener ist: Auch international erfuhr "Babylon Berlin" großen Zuspruch. In über 90 Länder wurde die Serie, für die unter anderem Tom Tykwer als Regisseur und Autor verantwortlich zeichnete, schon verkauft. Internationale Medien waren voll des Lobes für den deutschen Export.

Für "Babylon Berlin" steht viel auf dem Spiel

Kurioserweise scheint es also, als habe alle Welt das größte deutsche Serienprojekt aller Zeiten schon gesehen, ehe der Großteil der deutschen Bevölkerung überhaupt die Chance dazu hatte. Diese Vorgehensweise ging schon einmal kräftig in die Hose: Die RTL-Koproduktion "Deutschland 83" feierte ihre Fernsehpremiere fünf Monate vor ihrem Deutschland-Start im US-Kabelfernsehen. Als die Serie dann im Juni 2015 bei RTL debütierte, avancierte sie zum Quotenflop – trotz umfassender Marketingkampagne und großartiger Rezensionen renommierter Zeitungen wie der New York Times.

Ähnliches will die ARD um jeden Preis verhindern, zumal die Produktion einer dritten Staffel noch diesen Herbst beginnt. Gradmesser für den Erfolg im deutschen Free-TV wird sicher "Charité", das im Frühjahr 2017 bis zu 8,3 Millionen Zuschauer im Ersten unterhielt und deutlich weniger Vorschusslorbeeren erhielt.

Letzteres zeigt jedoch auch, dass die Deutschen endlich bereit sind, statt ZDF-Krimis, Spielshows, US-Serien oder Doku-Soaps im Primetime-Fernsehen auch mal hochwertige deutsche Serienunterhaltung zu verfolgen und diese nicht nur bei Streaming-Diensten zu suchen. Schon jetzt weist "Babylon Berlin" den Weg deutscher Serienkultur, mit der weitere groß angelegte Projekte Deutschland in der Serienwelt endlich einen Namen verleihen könnten.

Qualität stellt „Babylon Berlin“ in jedem Fall sicher, dafür sorgten die knapp 38 Millionen Euro, die die beteiligten Unternehmen in die Produktion im Studio Babelsberg investierten. Umso passender, dass die teuerste deutsche Serie in den "Goldenen Zwanzigern" spielt. Was erwartet Fernsehzuschauer also mit "Babylon Berlin"?

Nachtclub-Milieu und Kampf der Geschlechter

Zunächst einmal, und das sei allen Gelegenheitsfernsehenden gesagt, ist es eine Geschichte mit diversen Handlungssträngen, die dem Zuschauer viel Aufmerksamkeit abfordern. Im Zentrum der Serie steht Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch). Aus Köln stammend, erlitt der ehemalige Frontsoldat im Ersten Weltkrieg ein Nervenleiden und geht seinem Dienst nun bei der Sittenpolizei in Berlin nach. Der morphiumsüchtige Rath ermittelt zu Beginn der Serie in einem Erpressungsfall, der es zum Ziel hat, eine berühmte Persönlichkeit in Verruf zu bringen.

Im Polizeipräsidium trifft der Ermittler auf die verarmte Stenotypistin Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries), die sich für Rath und seinen Vorgesetzten Bruno Wolter (Peter Kurth) in die Arbeit stürzt, dabei aber ein ums andere Mal mit den damals vorherrschenden Geschlechterrollen zu kämpfen hat. Die Ermittlungen bringen die Kommissare in einen Sumpf aus Drogen, Politik, Mord und Extremismus und führt sie auch in den schillernden Berliner Nachtclub "Moka Efti“.

Viele Facetten, die "Babylon Berlin" so sehenswert machen, sind mit dem bloßen Auge zu erkennen und auf sein astronomisches Budget zurückzuführen. Malerisch schöne Szenenbilder und perfekte Ausleuchtung entführen die Zuschauer schon auf den ersten Blick ins Berlin der 20er Jahre, ohne dass die Serie Anspruch auf historisch akkurate Requisiten erhebt. All diese technischen Merkmale, von Kostümen über Maske bis hin zu Ton und Kamera, verleihen der auf Volker Kutschers Kriminalromanen basierenden Serie einen Look, der in der deutschen Serienlandschaft bislang beispiellos war.

Dekadenz und Bettelarmut

Die eigentliche Brillanz, und so sollte es bei den wirklich guten Serien auch sein, liegt aber in der Handlung. "Babylon Berlin" als einen von vielen deutschen Krimis abzutun, wäre eine Beleidigung. Genauso wenig handelt es sich bei der Serie bloß um einen Verschwörungsthriller. Schnell ergibt sich aus den vielen Handlungsfäden ein Erzählteppich, der zeitgenössische und zeitlose Figurendramatik bietet und mit den Widersprüchen von Dekadenz und Bettelarmut in einer historischen Periode voller Kontraste spielt. Eine Zeit, so scheint es, die unserer erschreckend ähnlich ist.

Es geht um politischen Extremismus, der sich den Weg ebnet und um Menschen, die aus Ängsten Macht generieren. Und wenn es "Babylon Berlin" ins "Moka Efti" verschlägt, gerät die Serie zu einem rasanten Fiebertraum, der dem Format die Gelegenheit bietet, seine Imposanz vollständig zum Ausdruck zu bringen. Deutsche Serienfans dürfen hoffen: "Babylon Berlin" ist ein Vorgeschmack darauf, für was das Label"„made in Germany" auch bald im Serienbereich stehen könnte.

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