"Harriet": Melodramatische Geschichte einer Sklavenbefreierin

9.7.2020, 17:52 Uhr
Aus dem Sklavenmädchen Minty ist die selbstbewusste Harriet Tubman (Cynthia Erivo) geworden. Es ist ihr Name als freie Frau.

© Foto: Universal Aus dem Sklavenmädchen Minty ist die selbstbewusste Harriet Tubman (Cynthia Erivo) geworden. Es ist ihr Name als freie Frau.

Und mit "Harriet – der Weg zur Freiheit" startet nun ein Film in den Kinos, den man ebenfalls ohne Weiteres unter dieses Motto stellen könnte – auch wenn er unter ganz anderen Vorzeichen im Amerika des 19. Jahrhunderts spielt. Die wahre Geschichte der mutigen und auf Gott vertrauenden Sklaven-Fluchthelferin, die in den Jahren vor dem amerikanischen Bürgerkrieg zur Heldin wurde, kommt passend in einer Zeit, in der Statuen von Sklavenhändlern vom Sockel gestürzt werden. Dennoch fragt man sich, warum das Leben der Harriet Tubman, die 1913 mit 90 Jahren starb, nach den Erfolgen von Spielbergs "Die Farbe Lila" und Steve McQueens "12 Years a Slave" nicht längst im Kino erzählt worden ist.

Genauso erstaunlich ist, dass Regisseurin und Drehbuch-Koautorin Kasi Lemmons nach McQueens ungeschönt ehrlichem und brutalen Film eine derart konventionelle, saubere und melodramatisch-altmodische Form für ihre Story gewählt hat. Die beginnt im Jahr 1849 in Maryland, wo Harriet noch den Namen Minty trägt und mit dem freien Sklaven John verheiratet ist. Sie selbst und ihre Familie haben unter dem Gutsbesitzer, dessen Kapital sie als Sklaven sind, keine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben.

Als Minty (Cynthia Erivo) verkauft werden soll, entschließt sie sich zur abenteuerlichen Flucht auf eigene Faust. Sie schafft die 100 Meilen nach Pennsylvania, legt den Sklavennamen ab und nennt sich ab sofort Harriet. Als freier Mensch könnte sie nun ein neues Leben beginnen. Doch trotz der vielen Unterstützer und allen Luxus’ hält sie es nicht lange aus. Sie wird immer wieder zurückkehren nach Maryland, um Sklaven zur Flucht zu verhelfen. Weil die regelmäßig durch einen Fluss führt, durch den die kleingewachsene Harriet ihre Schutzbefohlenen mutig und um göttlichen Beistand betend leitet, hat sie bald noch einen dritten Namen: Moses. So wird sie zur wichtigen Figur in einem konspirativen Netzwerk, das geflüchtete Sklaven unterstützt.

Übersinnliche Eingebungen

Mit dieser Geschichte im Hintergrund ist es ein Leichtes, die Entwicklung vom Sklavenmädchen zur bewaffneten Heldin im Outlaw-Outfit bildhaft nachzuzeichnen. Zudem umfängt etwas fast Übersinnliches diese Frau, die aufgrund einer Kopfverletzung, die ihr ein Sklavenhalter zugefügt hat, immer wieder in Trance fällt und dabei entscheidende Eingebungen hat.

Es sind allerdings nicht diese Momente, die irritieren. Vielmehr ist es die Dramaturgie, die gleichsam die emotionalen und spannungsgeladenen Episoden aus dem Stoff herausschält, um sie eine nach der anderen in Szene zu setzen. Man sieht bedeutungsvolle Blicke, dramatische Bilder des Abschieds, des Schmerzes, der Flucht und der Angst vor den Sklavenjägern, die den Fliehenden stets dicht auf den Fersen sind. Was dazwischen passiert, ist der Fantasie des Zuschauers überlassen.

Durch diese Verkürzungen lässt sich zwar das Erzählte leicht und unterhaltend nachvollziehen, doch Tiefe bekommen die Figuren nicht. Mit ihrer natürlichen Präsenz glückt es Cynthia Erivo in der Titelrolle immerhin, ihre Harriet vor allzu viel pathetischem Heroismus zu bewahren. (135 Min.)

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