Kolumne Mangolds Taxiruf

Ist die Politik des Sondierens nur noch ein besserer Selfie-Wettbewerb?

16.10.2021, 07:00 Uhr
Dieses Selfie ist schon Legende: Die Spitzen von Bündnis90/Die Grünen und FDP bei der Vor-Sondierung einer möglichen Regierungsbeteiligung.

© Volker Wissing, dpa Dieses Selfie ist schon Legende: Die Spitzen von Bündnis90/Die Grünen und FDP bei der Vor-Sondierung einer möglichen Regierungsbeteiligung.

Noch glauben im Moment viele, dass an der nächsten deutschen Regierung die Grün-Gelben beteiligt sein werden. Dass die FDP und die Grünen nicht nur die meisten Stimmen der Erstwähler - also junge Menschen! - auf sich gezogen haben, sondern tatsächlich zukunftsfähig sind, haben sie schon eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Nämlich mit einem unfallfrei produzierten Selfie des vierköpfigen Sondierungsteams beider Parteien, das prompt viral ging.

Natürlich hat damit die Regierungsbildung noch nicht einmal begonnen - eigentlich war der Anlass des Selfies sogar nur eine sogenannte Vor-Sondierung. Denn von Sondierung sollte man erst sprechen, wenn auch die dritte Partei, die das Bündnis dann Richtung Ampel oder Jamaika führen könnte, mit an Bord ist.

Ein Selfie mit einem syrischen Flüchtling brachte Angela Merkel viel Ärger ein. 

Ein Selfie mit einem syrischen Flüchtling brachte Angela Merkel viel Ärger ein.  © Quelle: Anas Modamani

Aber spätestens, wenn unsere Bundes-Mutti die Neujahrsansprache für 2022 hält, weil immer noch sondiert und/oder koalitionsverhandelt und/oder die CDU/CSU die schwer jugendaffinen Neu-Kanzlerkandidaten Söder oder Merz präsentiert hat, dürfte der angesagte Polit-Instagram-Filter womöglich wieder zu Rot-Schwarz zurückschwenken.

Solche Selfies steigern die Popularität - für die Bundeskanzlerin: Angela Merkel und Nationalspieler Lukas Podolski nach dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 2014.

Solche Selfies steigern die Popularität - für die Bundeskanzlerin: Angela Merkel und Nationalspieler Lukas Podolski nach dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 2014. © Foto: Twitter Podolski

Sicher, im Moment ist es noch zu früh für Hiobsbotschaften dieser Art. Aber seit der erfolgreichen Smartphone-Aktion ist auf jeden Fall klar, dass nur noch als sondierungs- oder gar regierungsfähig gelten kann, wer erfolgreich Selfies ins Netz schießt.

Bei Olaf Scholz und Armin Laschet sieht die Erfolgsbilanz auf diesem Zukunfts-Kompetenzfeld erstaunlich dürftig aus, so dass wir uns in beiden Fällen deshalb viel früher ernsthaft hätten fragen sollen: „Kann der Kanzler?“

Über Armin Laschet hat sich auch die Satirezeitschrift "Der Postillon" lustig gemacht. Tenor: Laschet zeigt mit seinem Selfie, dass auch er Sondierungsgespräche führt - mit sich selbst.

Über Armin Laschet hat sich auch die Satirezeitschrift "Der Postillon" lustig gemacht. Tenor: Laschet zeigt mit seinem Selfie, dass auch er Sondierungsgespräche führt - mit sich selbst. © Quelle: Der Postillon

Aus Gründen einer weitergehenden Popularisierung der Demokratie sollten Wahlen in Zukunft durch einen Selfie-Popularitätswettbewerb ersetzt werden. Kann eine Politikerin oder Politiker seine Macht mehr in die Hände der Bevölkerung geben, als wenn er oder sie ungeschützt in die Smartphone-Kamera einer fremden Person schaut?

Angela Merkel hat da im Jahr 2015 mit dem Selfie eines Flüchtlings bittere Erfahrungen machen müssen. Nur ein Jahr vorher war sie noch viel instinktsicherer, als sie sich mit Spielern der deutschen Fußballnationalelf zum Selfie vereinte. Das war damals ein Selbstläufer, denn unsere Kicker wurden Weltmeister.

Einen Fehler sollten Politikerinnen und Politiker aber auf keinen Fall begehen: Ein Selfie posten, auf denen sie ganz allein sind. Diese Botschaft würde lauten: Mit mir sondiert und koaliert keiner.

Geht gar nicht. Insofern ist der politische Herbst tatsächlich schon weit fortgeschritten, frei nach Rilke: „Wer jetzt kein Selfie hat, der postet keines mehr.“ Entschuldigung, das klingt schief, ich weiß. Aber ein richtig spontan wirkendes Selfie ist ja meistens auch irgendwie schräg.

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