Jazz-Hymne aufs Leben: Meisterwerk "Soul" von Pixar

29.12.2020, 14:35 Uhr
Im "Davorseits" unterwegs: Der Musiklehrer Joe Gardener (rechts) und die aufmüpfige Seele 22 in einer Szene aus "Soul".

© Disney+/Pixar/dpa Im "Davorseits" unterwegs: Der Musiklehrer Joe Gardener (rechts) und die aufmüpfige Seele 22 in einer Szene aus "Soul".

Sind das eigentlich noch Kinderfilme? Was das Team um Pixar-Macher Pete Docter da in schöner Regelmäßigkeit abliefert, das ist ganz großes Kino - auch für Erwachsene. In den unfassbar perfekten, höchst aufwendigen Animationsfilmen - die Arbeit an "Soul" hat nicht ohne Grund fünf Jahre gedauert - geht es immer mehr um philosophische Fragen. Beim oscar-gekrönten "Alles steht Kopf" 2015 - wie "Oben" (2010) und nun "Soul" unter der Regie von Pete Docter produziert - ging es um das irrwitzige Ringen der fünf Wesens-Beeinflusser Freude, Wut, Kummer, Ekel und Angst um die Gefühlslage der kleinen Riley, mit fantastischen Welten aus dem Unterbewusstsein.


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Der erste farbige Titelheld

In "Soul" steht nun nichts weniger als der Sinn des Lebens im Zentrum. Und der Mittvierziger Joe Gardener, nicht sehr erfolgreicher Musiklehrer (und übrigens der erste farbige Titelheld eines Pixar-Films, was auch am farbigen Co-Regisseur Kemp Powers liegt), sieht seinen Sinn des Lebens ganz klar beim Jazz, seiner großen Leidenschaft.

Und als er diesem Sinn ganz nahe kommt, weil der begnadete Pianist die Chance erhält, am Abend in einem legendären New Yorker Jazzclub in der Band einer Sängerin einzuspringen - ausgerechnet da stürzt er, fröhlich und beschwingt, in einen Gully. Aus der Traum, aus der Sinn des Lebens, stattdessen: Intensivstation und - Abgang.

Fantastische Bilder aus dem "Davorseits"

Die Pixar-Macher liefern nach der detailgetreuen Sicht auf NY nun fantastische Bilder von - ja, wovon eigentlich? Gardener findet sich als tropfenähnliche Seele mit Brille und Hütchen in einer Art Unterwelt und landet dann im "Davorseits", dem Pendant zum Jenseits. Dort werden unzählige kleine, knuddelig-wolkige Seelen geschult für ihren Einsatz auf der Erde, für ihre Menschwerdung also.

Unser Jazzer wird Mentor, also Betreuer einer ganz besonders widerspenstigen Seele, die nur "22" heißt und mit ihrer Null-Bock-Haltung schon weit berühmtere Seelen-Trainer wie Mutter Theresa oder Abraham Lincoln zur Verzweiflung getrieben hat. Sie will partout nicht auf die Erde und Mensch werden, sondern ist seit Jahrhunderten zufrieden mit ihrem Seelenbaumeln im wolkigen, von linear gezeichneten Kunst-Figuren beherrschten "Davorseits".

Eine sehr rasante, moderne Odysee

Diese Seele, die partout nicht leben will, trifft also auf Joe Gardeners Seele, die unbedingt und am besten gleich - der Auftritt rückt näher! - wieder mitten rein ins volle Leben des New Yorker Gewimmels (vor Pandemie-Zeiten) möchte. Und, mehr sei nicht verraten, beide schaffen es in einer Art modernen, sehr rasanten Odysee tatsächlich in den Big Apple.

Allerdings nicht ganz pannenfrei. Weil es dem auf seinen Jazz-Durchbruch brennenden Gardener nicht schnell genug gehen kann, kommt einiges ganz gewaltig durcheinander auf dem Weg zurück in die Welt. Was für ihn und Seele 22 zunächst durchaus desaströse Folgen hat, liefert den Zuschauern neben sehr viel Spaß auch wunderbare Szenen voller Poesie und Philosophie. Detailgenaue Beobachtungen in einem Barbershop zum Beispiel, Bilder von der Wirkmacht der Musik - und auch Einblicke ins Seelenleben von Katzen, die in Kliniken als Tröster eingesetzt werden. Eine davon spielt eine Hauptrolle in "Soul" - warum, auch dies sei nicht verraten.

Perfektion, die staunen lässt

Mit vielen Irrungen und Wirrungen gelingt es dann natürlich und selbstredend doch noch auf den allerallerletzten Drücker: das Gastspiel Gardeners in einer famosen Jazz-Combo - mit ihm als dem umjubelten Star am Piano. Auch diese Szenen sind von einer Perfektion, die staunen macht und zugleich stets Herzblut und Wärme ausstrahlt.

Und das Ganze endet dann wieder sehr philosophisch: Gardener hat endlich erreicht, was für ihn der Sinn des Lebens war - einen perfekten Auftritt hinlegen mit einer glänzenden Aussicht auf Karriere. Doch dann... kommen ihm Zweifel, ob das denn nun wirklich schon alles, wirklich so toll und sinnstiftend gewesen sei.

Das ganz Leichte mit dem ganz Schweren verbinden

Da ist der Film dann tiefgründiger als düstere Dramen mit realen Stars und Heldinnen - mit Sicherheit aber ungleich vergnüglicher und unterhaltsamer. Das muss man erst mal schaffen: das ganz Leichte mit dem ganz Schweren so zu verbinden, dass daraus weder Kitsch noch Klamotte wird. Das Pixar-Team schafft das in immer stupenderer Meisterschaft.

Was da entsteht, lässt sich längst nicht mehr abtun als das, was es vor Jahrzehnten mal war: als einfacher oder gar billiger Zeichentrickfilm. Im Gegenteil. Der Werdegang des Disney-Imperiums samt seines High-Tech-Sprößlings Pixar zeigt, wie sich da ein Genre fortentwickelt hat und "echten" Filmen längst ebenbürtig ist. Doppelbödige Streifen entstehen da - mit Handlungen außer Rand und Band, voller Action, Slapstick und Dramatik. Stoff für kleine und große Kinder. Letztere bekommen dazu in ebenso philosophischen wie zum Glück verständlichen Dialogen noch jede Menge Nachdenk-Material.


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Ein Film, der nach einer Riesen-Leinwand und 3-D schreit

Dass wir uns solche Filme, die nach einer Riesen-Leinwand, nach 3-D-Technik und bestem Sound geradezu schreien, aktuell nur per Stream am heimischen Bildschirm anschauen können, ist bitter. Aber immerhin ein familienfreundlich-günstiger Spaß: Ein Monatsabo von Disney+ kostet 6,99 Euro - da kann ein Kino leider nicht mithalten.

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