Mehr als Kandinskys Freundin

13.5.2012, 09:00 Uhr
Mehr als Kandinskys Freundin

„Nur durch Dich kann ich zu wirklich Großem kommen“, schrieb Wassily Kandinsky 1905 an Gabriele Münter. Das mochte schon stimmen. Trotzdem hat der angeblich schwer Verliebte später eine andere Frau geheiratet und seine „Verlobte“ unfein sitzen lassen. Die unglücklich verlaufende Beziehung der beiden „Blauen Reiter“ bietet natürlich sattsam Stoff für immer wieder gern erzählte Tränendrüsen-Geschichten. Sie verstellte aber bisher auch den wahren Blick auf eine der bedeutendsten Malerinnen der Klassischen Moderne. So ist es bezeichnend, dass selbst die umfassendste Beschreibung von Münters Leben, die es bislang gab, eine Doppelbiografie ist.

Vergleich mit Yoko Ono

Gudrun Schury, die zuletzt zusammen mit Rolf-Bernhard Essig das unterhaltsame Büchlein „Wie der Klatsch zum Kaffee kam. Wundersames aus der Welt der Wörter“ geschrieben hat, stellt gleich im Vorwort klar: „Münter lässt sich nicht auf die Zeit mit Kandinsky reduzieren: Fast 72 Jahre ihres 85 Jahre währenden Lebens verbrachte sie ohne ihn.“ Und sie verweist zur Untermauerung auf ein anderes berühmtes Paar der Kulturgeschichte: „Auch Yoko Ono, die ebenfalls 13 Jahre an der Seite eines berühmten Mannes lebte, wird ja nicht nur als die Ex von John Lennon betrachtet, sondern als die Künstlerin Yoko Ono.“

Und so zeichnet sie detail- und faktenreich den Weg der Malerin nach, schildert, wie sie sich als 22-Jährige bei einer Amerikareise das Fotografieren aneignet und dadurch einen Entwicklungsschub in Sachen Wahrnehmung, Erfassung und Wiedergabe von Objekten durchmacht. „Sie eroberte sich damals jenen Blick, der sie zur Meisterin von Linie und Fläche und frappierend intelligenter Farbwahl machen sollte“, schreibt Schury, die dieses Kapitel gleich noch für einen Ausflug in die Geschichte der Fotografie nutzt. Überhaupt ist die Einordnung in die Zeitumstände ein dickes Plus dieser ausgesprochen lesenswerten Biografie: Man erfährt darin eben beispielsweise nicht nur anekdotisch, dass Münter begeistert Rad fuhr, sondern auch wie dieses Vehikel damals ganz allgemein neuen Wind in die Emanzipation brachte.

Vernichtende Kritik

Schury zeichnet den Lebens- und Karriereweg der Malerin nach — von der Privatausbildung in Düsseldorf über die Kunstschule in München, die langen Aufenthalte in Skandinavien bis zum Umzug nach Murnau. Sie beschreibt die mitunter vernichtenden Reaktionen der damaligen Kunstkritik und ordnet die Bedeutungen der Männer in Münters Leben ein — vom Hallodri Kandinsky, dem sie nach der Trennung immerhin ein großes Bilderkonvolut abtrotzte, über die Kollegen Marc und Macke bis zum neun Jahre jüngeren Privatgelehrten Johannes Eichner.

Ihn lernte sie am Silvesterabend 1927 kennen und verbrachte den Rest ihres Lebens mit ihm, das am 19. Mai 1962 endete. Eichner war ihr, wie Schury mit deutlicher Kritik zwischen den Zeilen anmerkt, „Gefährte, Ratgeber, Manager mit einem Hang zu geordneten Bahnen und dazu, die Dinge in die Hand zu nehmen.“ Er war maßgeblich an der Münter-Renaissance beteiligt, die Ende der 40er Jahre einsetzte. Und auch daran, dass ihr oft das Etikett der Primitiv-Naiven angeklebt wurde.

Gudrun Schury, „Ich Weltkind. Gabriele Münter — die Biografie“, Aufbau Verlag, Berlin, 328 Seiten, 24,99 Euro.

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