Schwierige Adoption

Nur die Hautfarbe zählt: Roman über rassistische Politik auf Longlist für Deutschen Buchpreis

20.9.2022, 13:55 Uhr
Ein Roman, dessen Geschichte eine gewisse Parallele zur Autorin zieht: "Die Geschichte eines Kindes" von Anna Kim. 

© Monika Skolimowska, dpa Ein Roman, dessen Geschichte eine gewisse Parallele zur Autorin zieht: "Die Geschichte eines Kindes" von Anna Kim. 

In einer Kleinstadt im amerikanischen Wisconsin bringt eine Telefonistin im Juli 1953 einen kleinen Jungen zur Welt. Die junge unverheiratete Mutter Carol Truttman gibt das Kind sofort zur Adoption frei. Daniel bleibt in der Obhut des Sozialdienstes. Doch noch bevor die Suche nach Pflege- oder Adoptiveltern beginnt, keimt bei den betreuenden Kinderschwestern ein Verdacht auf: Anders als seine Mutter scheint der Junge nicht weiß zu sein.

Die Behörden rätseln, ob er "indianisch" ist (und verwenden weitere rassistische Bezeichnungen). Das würde eine Adoption enorm erschweren. Da die junge Mutter den Namen des Vaters nicht verrät, begibt sich eine überengagierte Sozialarbeiterin auf die Suche, um die ethnische Herkunft des Kindes zu ermitteln.

Die preisgekrönte, in Südkorea geborene österreichische Schriftstellerin Anna Kim ("Anatomie einer Nacht", "Die große Heimkehr") hat in ihrem aktuellen Roman "Die Geschichte eines Kindes" eine wahre Geschichte aufgegriffen, die ein erschreckendes Licht auf die Gesetze der rassistischen Trennung von Weißen und Schwarzen im Amerika der 50er Jahre wirft. Der Roman steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis, der am 17. Oktober verliehen wird. Schon an diesem Dienstag (20. September) wird mit der Shortlist bekannt gegeben, wer in die engere Wahl für die Auszeichnung kommt.

"Hinweis auf eine gemischte Elternschaft"

Kim erzählt die Geschehnisse rund um die Adoption des kleinen Daniel anhand von absurd und menschenverachtend anmutenden Aktenberichten des Sozialdienstes der Diözese Green Bay. Im Laufe der Entwicklung des Babys dokumentieren die Berichte der fanatischen Sozialarbeiterin eine geradezu penetrante Suche nach eindeutigen Hinweisen auf die Ethnie.

Das Buch steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis:  "Die Geschichte eines Kindes" von Anna Kim. 

Das Buch steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis:  "Die Geschichte eines Kindes" von Anna Kim.  © ---, dpa

Zwar wird immer wieder berichtet, dass das Kind sich gut entwickele, gesund und aufgeweckt sei. Doch leider genügt das nicht. Schon nach einem Monat wird indigniert festgestellt, dass der Junge Merkmale aufweise, die nicht "normal" seien, normal im Sinne von weiß natürlich. "An den seitlichen Stirnpartien sowie in der Nackengegend gibt es Anhäufungszentren von Pigment", heißt es an einer Stelle. Und an einer anderen: "Die Gesäßzeichnung changiere zwischen olivfarben und hellbraun, was ein Hinweis auf eine gemischte Elternschaft sei."

Hinzu kommen absurde, wissenschaftlich unhaltbare IQ-Berechnungen. So wird die Behauptung aufgestellt, der gemessene IQ von 110 werde später "bis zu 100 abflachen, da die Lernfähigkeit von Negerkindern abnehme, je älter sie werden".

Trotz dieser in den Augen des Sozialdienstes mehr als düsteren Voraussetzungen und obwohl die Suche nach dem Vater erfolglos bleibt, findet sich überraschenderweise ein schon etwas älteres, vorurteilsfreies und sehr warmherziges Ehepaar, das den kleinen Daniel gern in Pflege nehmen möchte. Doch das Paar ist weiß, und das ist in diesem Fall ein Makel, denn die vorherrschende rassistische Ideologie besagt, dass ein schwarzes Kind am besten bei schwarzen Eltern aufwachsen sollte. Alles andere bringt Unglück.

Parallelen zur Autorin

Diese haarsträubenden halbdokumentarischen Passagen sind eingebettet in eine essayistisch aufbereitete Rahmenhandlung, die Jahrzehnte später spielt und in deren Mittelpunkt eine aus Österreich stammende Schriftstellerin steht, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Autorin selbst zu haben scheint.

Franziska kommt durch ein Schreibstipendium nach Green Bay und wohnt zufällig bei Joan, der Ehefrau Daniels, der sich inzwischen aufgrund einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim befindet. Weil Franziska Halbkoreanerin ist und vermutlich selbst Rassismus erfahren hat, hält Joan sie für eine empfängliche Gesprächspartnerin, der sie ihr Herz öffnet, um ihr Daniels Geschichte zu erzählen.

Nicht zufällig kommt Daniel, die eigentliche Hauptperson, in dem gesamten Buch nicht zu Wort. Denn Rassismus bedeutet eben auch, dass andere die Regie übernehmen, zum Sprachrohr werden, einordnen, definieren und zum Verstummen bringen.

Die rassistische Verwaltungssprache der 50er Jahre ist nur eine besonders drastische Form der Inbesitznahme, die subtileren Ausprägungen gewichen ist. Anna Kim hat ein fesselndes, berührendes Buch über Rassismus, Ausgrenzung und Fremdbestimmung geschrieben, das kein bisschen gestrig ist.

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