Rauschhaftes Komponieren im Wettlauf mit der Lebensuhr

4.5.2016, 19:31 Uhr
Rauschhaftes Komponieren im Wettlauf mit der Lebensuhr

© Foto: Martha Ruben (aus dem Bestand des Max-Reger-Instituts Karlsruhe)

Noch sechs Jahre nach Regers Tod schrieb Arnold Schönberg in einem Brief an Alexander von Zemlinsky: „Reger muss (. . .) viel gebracht werden. 1. weil er viel geschrieben hat; 2. weil er schon tot ist und man noch immer nicht Klarheit über ihn besitzt (Ich halte ihn für ein Genie.)“ Auch Paul Hindemith meinte: „Max Reger war der letzte Riese in der Musik. Ich bin ohne ihn gar nicht zu denken.“

Seither ist tatsächlich mehr Klarheit in Sachen Reger geschaffen worden: 2010 erschien das zweibändige Reger-Werkverzeichnis und seit 2008 entsteht am Karlsruher Max-Reger-Institut die wissenschaftliche „Reger-Werkausgabe“. Reger selbst hatte schon sarkastisch geäußert: „Das Schwein und der Künstler werden erst nach ihrem Tode geschätzt.“

Geboren wurde der Künstler 1873 im Schulhaus der winzigen Gemeinde Brand, die heute zum Kreis Tirschenreuth zählt und direkt an den Landkreis Bayreuth grenzt. Dort wirkte Regers Vater als Dorfschullehrer. Seine entscheidenden Prägungen erfuhr der kleine Max aber in Weiden, wo er aufwuchs und das Abitur machte. Als Schlüsselerlebnis bezeichnet er selbst den Besuch der Bayreuther Festspiele als 15-Jähriger und beschloss forthin — gegen den Willen des Vaters — Musiker zu werden.

Seine Gesundheit war immer labil. Nach der Militärzeit und vielen beruflichen Misserfolgen, die zu einem völligen nervlichen und physischen Zusammenbruch führten, kehrte der 25-jährige Musikstudent ins Elternhaus zurück. Drei Jahre später heiratete er die geschiedene Protestantin Elsa van Bercken (1870-1951), was unmittelbar seine Exkommunikation durch die katholischen Kirche zur Folge hatte. Seine Gattin wurde seine erste Biografin. Das Paar adoptierte zwei Töchter, aber die Ehe stand wegen Regers massivem Alkoholismus unter keinem besonders guten Stern. „Es liegen im Wein allerdings produktivmachende Kräfte sehr bedeutsamer Art“, meinte Reger selbst dazu. Manche Experten bringen Regers sich durchaus in riesenhaften Besetzungen und Großformen auslebende Spätromantik direkt mit seinen Räuschen in Verbindung. Interessantes Detail: 1910 wurde er in Berlin zum Doktor der Medizin ehrenhalber ernannt. . .

1907 war Max Reger zum Universitätsmusikdirektor nach Karlsruhe berufen worden und endlich 1911 erhielt er jenes Angebot, auf das er schon lange gehofft hatte: Er wurde Chef der vielgerühmten Meininger Hofkapelle und damit ein Nachfolger Hans von Bülows und Richard Strauss‘. Ein Amt, das er bereits im Februar 1914 aus Gesundheitsgründen niederlegen musste. Die strapaziösen Konzertreisen, die er dann unternahm, waren für sein Herz zuviel.

Böcklin-Tondichtungen

Nur wenige seiner 250 Klavierlieder, zahlreichen sinfonischen Sätze oder dutzenden Kammermusikwerke haben sich nachhaltig in den Konzertsälen halten können. Am populärsten sind vielleicht noch die „Vier Tondichtungen über Bilder A. Böcklins“ und die Mozart-Variationen geworden. Hin und wieder graben Orchester sein Klavierkonzert oder das „Requiem“ (nach Hebbel) aus.

Nachhaltiger sieht es dagegen bei seinem Orgelschaffen aus. Hier gelten seine ausgedehnten Variationswerke, die Fugen und Choralsätze, seine Sonaten, Romanzen und Fantasien als der zweite unerschöpfliche Kosmos neben dem Werk Bachs. Bernhard Buttmann, seit 2002 Hauptkantor an der Nürnberger Sebalduskirche, hat eben mit der vierten Box seine Einspielung des Regerschen Gesamtorgelwerks bei Oehms Classics abgeschlossen. Am 18. Mai spielt Buttmann genau dort, wo Reger einst Orgel studiert hatte: in der Wiesbadener Marktkirche.

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