Serienhit "You": Netflix warnt vor gefährlichem Killer-Hype

4.2.2019, 11:19 Uhr
Die von Penn Badgley gespielte Hauptfigur der Erfolgsserie "You" avancierte in den Sozialen Medien zum Frauenschwarm. Das Problem: sie ist ein stalkender Mörder.

© Netflix / Warner Bros. TV Die von Penn Badgley gespielte Hauptfigur der Erfolgsserie "You" avancierte in den Sozialen Medien zum Frauenschwarm. Das Problem: sie ist ein stalkender Mörder.

Die Serie "You" kennzeichnet für Netflix bislang einen herausragenden Erfolg. Das lässt sich schon alleine daran ablesen, dass der Streaming-Dienst sich im Zuge der Serie hinsichtlich der Abrufzahlen ausnahmsweise mal in die Karten schauen ließ. 40 Millionen Abonnenten sollen die Serie bis zum 23. Januar schon angesehen haben. Dabei war "You" bis dahin erst einen Monat in der Mediathek des Video-on-Demand-Anbieters verfügbar gewesen. Auch in Deutschland sind Serien-Fans begeistert vom Format, das bislang die meistgesehene Netflix-Serie des neuen Jahres ist.

Serienfans verherrlichen einen stalkenden Killer

Doch die Beliebtheit des Formats stellt sich für Netflix gleichermaßen berauschend wie besorgniserregend dar. In den Sozialen Medien himmeln Serienfans die Hauptfigur Joe an. Der Haken: Beim gutaussenden Buchhändler (gespielt von Penn Badgley) handelt es sich um einen stalkenden Psychopathen, der auch Menschen tötet, um die Frau zu bekommen, die ihm den Kopf verdrehte. Die attraktive Literaturstudentin Beck, die eines Tages in Joes Buchhandlung spaziert, wird von dort an ständig von ihm verfolgt und manipuliert.

Dieser Umstand führte bei Zuschauern jedoch lange nicht zu Antipathien. Im Gegenteil: In den Sozialen Medien äußerten vor allem weibliche Zuschauer, dass die Figur sie stark anziehe. Die aus "Stranger Things" bekannte Kinderdarstellerin Millie Bobby Brown verteidigte die Figur sogar, weil sie die Morde in der Serie vermeintlich aus Liebe beging. So entfaltete sich eine skurrile Debatte, die bei positiven Beiträgen über die Serienfigur auch auf viel Gegenwind für die Verfasser und Netflix stieß. Ironischerweise legte die Serie, die zu großen Teilen auch mehr oder minder subtile Kritik an Sozialen Medien übt, die Schattenseiten dieser Plattformen unfreiwillig offen und wurde dort selbst zur Zielscheibe.

Trend um Serien über Killer

Dass Killer im Mittelpunkt von Serien stehen, also gewissermaßen Killer-Serien von Serienkillern handeln, ist nicht neu. Während zahlreiche Krimi-Formate wie "True Detective", "Mindhunter", "The Alienist" oder "The Killing" sich aber vor allem darum drehen, dass Ermittler pathologisch besonders faszinierende Täter zur Strecke bringen müssen, hat sich in der Serienwelt auch ein Trend hin zu Formaten herausgebildet, die den Killern selbst folgen und sogar darauf setzen, dass Zuschauer mit ihnen mitfiebern. Solche Formate heißen "Hannibal", "Bates Motel", "Dexter", "The Following", in Abstrichen auch "House of Cards" - und eben "You".

Hauptdarsteller Penn Badgley zeigte sich auf Twitter selbst verwundert über den Kult um seine psychopathische Serienfigur. Badgley trat noch bis 2012 in der US-Serie "Gossip Girl" als Dan Humphrey auf, wo er sich für Millionen von Zuschauerinnen zum Frauenschwarm entwickelte. Das tonal sehr ähnliche "You" setzte sich im Vorfeld sicher auch zum Ziel, die "Gossip Girl"-Fans von damals zum Einschalten oder sogar zum Abschluss eines Abonnements zu motivieren.

Killer-Doku rückt Debatte in neues Licht

Das kontroverse Thema kommt für Netflix zur Unzeit, denn gerade erst erschien beim Streaming-Service außerdem die Doku-Serie "Ted Bundy: Selbstporträt eines Serienmörders" und damit eine nicht-fiktionale Produktion über einen tatsächlichen Entführer, Serienmörder und Vergewaltiger, der zwischen 1974 und 1978 mindestens 30 junge Frauen und Mädchen in den USA ermordet haben soll. Das Pikante daran: Auch der stets gepflegt auftretende Bundy wurde kurz nach Erscheinen der Doku in den Sozialen Medien wieder als "heiß" bezeichnet - und sieht der "You"-Hauptfigur Joe sogar recht ähnlich.

Das veranlasste Netflix auf Twitter zum Handeln. Dort schrieb ein offizieller Account: "Ich habe viele Fans darüber reden hören, wie heiß Ted Bundy angeblich sein soll, und möchte alle höflich daran erinnern, dass es auf unserem Dienst buchstäblich TAUSENDE anderer heißer Männer zu sehen gibt - von denen praktisch keiner ein verurteilter Serienmörder ist." Der Anbieter reagierte also mit einem Augenzwinkern auf die Kritik, die gegenüber der Serie aufgrund der Romantisierung eines Mörders entstand.

Weitere Kontroversen ergeben sich für den Streaming-Dienst dadurch, dass die Ted-Bundy-Doku dem manipulativen Bundy selbst besonders viel Zeit gewährt, um von sich selbst zu berichten. Das hat deshalb einen faden Beigeschmack, weil Medien den jungen Mann schon während seines Prozesses, der in Bundys Verurteilung zum Tode endete, verklärten, was sogar dazu führte, dass weibliche Fans des Mörders vor dem Gericht auftauchten, um seine Freilassung zu erwirken.

Thema wird 2019 aktuell bleiben

Fiktionale Formate, die sich auf Killer oder Psychopathen fokussieren und diese gleichzeitig mit dem Ziel darstellen, dass Zuschauer mit ihnen mitfiebern können, entsprechen einer moralischen Gratwanderung. Dass Zuschauer häufig nicht zwischen den Taten dieser Figuren und ihren Erscheinungsbildern trennen können, zeigte sich angesichts der Resonanz zu "You" und später auch "Ted Bundy: Selbstporträt eines Serienmörders" deutlich.

Es wird nicht das letzte Mal sein, dass dieses Thema 2019 behandelt wird. Im Kino steht für dieses Jahr ein Ted-Bundy-Spielfilm in den Startlöchern, in dem der "Sexiest Man Alive 2017" Zac Efron den Mörder verkörpern wird. Außerdem erscheint der neue Quentin-Tarantino-Film "Once Upon a Time in Hollywood", der von den Morden Charles Mansons handelt, welcher sogar einen Kult gründete. Seine Gefolgschaft soll ab Ende der 60er Jahre insgesamt neun Leute getötet haben, darunter die Schauspielerin Sharon Tate. Auch eine zweite "You"-Staffel wurde nach dem Welterfolg bereits angekündigt.

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