"Der große Sommer"

Sie hieß Beate und hatte grüne Augen: So liest sich der neue Roman von Ewald Arenz

25.3.2021, 12:22 Uhr
Schriftsteller Ewald Arenz in seinem Garten in Fürth.

© Hans-Joachim Winckler Schriftsteller Ewald Arenz in seinem Garten in Fürth.

Medien machen Mythen. In den letzten Jahrzehnten haben Film, Literatur und ein wenig auch der Schlager den Mythos vom "großen Sommer" etabliert. Angeblich ist das eine besonders intensiv erinnerte Jahreszeit des Erwachsenwerdens.

Allerdings: Auch die Erinnerung macht Mythen, konstruiert Geschichten, die vielleicht ganz anders waren. Die Gehirnforscher lassen an dieser physiologischen Funktion kaum Zweifel. Ein großer Sommer könnte also tatsächlich eine Fiktion aus vielen kleinen August-Momenten sein.


Kreativ in der Krise: Was macht Ewald Arenz?


Dennoch löst "Der große Sommer" als Romantitel sofort Erwartungen aus. Ewald Arenz, zunehmend erfolgreicher Schriftsteller aus Fürth (zuletzt wurde dort kurz vor dem Lockdown sein Musical-Libretto "The Famous Door on Swing Street" uraufgeführt), hat ihn über sein neues Buch geschrieben. Morgen erscheint es. Ist es autobiografisch?
Knapp achtzehn

Wenn selbst die Erinnerung nur Fiktionen schafft, müssen wir nach solchen Bezügen nicht unbedingt suchen – obwohl Arenz Jahrgang 1965 ist, seine Geschichte zu Beginn der 80er ansiedelt, und die Protagonisten alle knapp unter achtzehn Jahre alt sind.

Geruch der Stimmungsbilder

"Der große Sommer" also: "Es war mild, und vor allem roch es überall gut und ganz anders als am Tag. Erdgeruch am Friedhof und ein wenig das bittere Aroma der Kastanienblätter, das mich schon an den Herbst erinnerte. Schön, in einer Sommernacht durch so einen Duft zu fahren. Weil es so ein plötzliches Gefühl von Jetzt war. Jetzt war Sommer. Er würde vorübergehen. Aber jetzt war Sommer."

Autor Ewald Arenz

Autor Ewald Arenz © Weihreter, dumont

Ewald Arenz liebt solche Stimmungsbilder. Er streut sie zahlreich in seinen Text, verleiht ihm den Geschmack von Idylle. Allerdings deutet sein Ich-Erzähler in der zitierten Passage auch "bitteres Aroma" an. Ganz unverschattet bleibt der Sommer nicht, den Friedrich Büchner erlebt, Schüler am Gymnasium einer Mittelstadt, gefährdet in der Versetzung, wenn ihm die Wiederholungsprüfung nicht gelingt.

Eng verbunden ist er mit seiner kumpelhaften Schwester Alma und seinem Freund Johann, der den großen Schatten bringen wird. Und – selbstverständlich in so einem Sommer-Entwurf – mit der "ersten Liebe". Sie heißt Beate und begegnet Friedrich auf dem Sprungturm des Freibads: "Sie hatte grüne Augen".

Angst überwinden

Der Sprungturm spielt eine Zeitlang eine Rolle. Man muss höher und höher hinauf. In dem Roman geht es auch darum, manche Angst zu überwinden. Es geht um Friedrichs Familiengeschichte. Denn er soll für die Prüfung bei seinen Großeltern lernen, dem verschlossenen aber zutiefst sensiblen Großvater und der künstlerisch besaiteten Oma, deren altes Liebestagebuch Friedrich sogar lesen darf.

Sie hieß Beate und hatte grüne Augen: So liest sich der neue Roman von Ewald Arenz

© DuMont Buchverlag/Montage: Sabine Schmid

Es gibt viele Abende mit nettem Beisammensein, geschildert in einem ebenso netten, niemals herausfordernden Sprachstil. Baden im Fluss. Das erste Mal. Ab und zu gerät das Lese-Auge in kurze, kursiv gesetzte Passagen. Darin sucht der offensichtlich erwachsene Friedrich am Friedhof nach einem Grab.

Dann aber weiter: "Der Wein und die Rosen im anderen Garten und Johanns Zigarette und Beate neben mir... die Düfte mischten sich zu einem Sommernachtsparfum. Unvergleichlich."

Doch Düsternis steigt auf. Johanns Vater stirbt. Der Junge wird seltsam. Es kommt zu bedrohlichen Spielen mit einem Bagger. Spannend. Johann behauptet, die Geschwister Friedrich und Alma würden miteinander schlafen. Krise mit Beate. Johann hat einen schizophrenen Schub. Eine Psychose bricht auf. Die Schatten fallen auf den großen Sommer. Aber der Autor ist kein Schattenjäger.

Folgen jugendlicher Gefühle

Am Ende weist Arenz in vielen Richtungen auf Heilung hin. Über die lebensgestaltenden Folgen jugendlicher Emotionen oder gar Handlungen mag er nicht reflektieren. Nur, dass Dasein stets in einem empfindlichen Gleichgewicht ohne Bestandsgarantie ist, deutet er an.

Es wäre allzu leicht zu resümieren, das sei ein Roman für laue... Doch ich meide die Floskel. Lektüre-Betroffenheit ist ein ziemlich individuelles Phänomen. Und die Suche nach dem Grab? Alle Geheimnisse darf der Kritiker auch nicht verraten.

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