Wow-Effekt in der Provinz

So sieht Frankens neuer spektakulärer Konzertsaal aus

29.9.2021, 14:54 Uhr
Ein Blick in den neuen unterirdischen Konzertsaal mit den schweren Granitspitzen an Wand und Decke.

© Frank Wunderatsch Ein Blick in den neuen unterirdischen Konzertsaal mit den schweren Granitspitzen an Wand und Decke.

Wer hinein möchte in diese außergewöhnliche Klanghöhle, muss durch einen engen, einen sehr engen und abschüssigen Gang. An dessen Ende ist der Wow-Effekt dann umso größer: Imposante, zu spitzen Elementen geschliffene Granitplatten mit Längen von bis zu 13 Metern an Decke und Wänden des Saals wirken wie geschichtetes Gestein, wie schwebende Raumschiffe oder stürzende Meteoriten.

Man nimmt diesen beinahe sakralen Kuppelsaal mit seinen tonnenschweren Keilen als eine große begehbare Skulptur wahr, die ihren Charakter mit wechselnder Beleuchtung ändert.

Stollenartiger Zugang

Überdimensionale Gesteinssplitter, ein stollenartiger Zugang und Konzerte unter Tage: "Peter Haimerl greift in seiner Architektur die lange Tradition des Bergbaus hier auf", erklärt Ulrich Wirz. Er ist Verwaltungsleiter im Haus Marteau, der Internationalen Musikbegegnungsstätte des Bezirkes Oberfranken, die sich nun mit diesem fulminanten, 5,2 Millionen Euro teuren Anbau schmücken kann.

Die Villa Marteau wurde 1912/13 erbaut.

Die Villa Marteau wurde 1912/13 erbaut. © Frank Wunderatsch

Der Granit-Tempel mit Eichenboden ist das supermoderne Pendant zum bisherigen "Konzertsaal" in der 1912/13 erbauten Villa, wo die dunklen Holzdielen knarzen und die Musiker unter Raummangel ächzen.

Für Meisterkurse im traditionsreichen Haus Marteau reisen Stars der Klassik-Szene wie Edda Moser, Siegfried Jerusalem oder Charlotte Lehmann an, unterrichten Schülergruppen von acht bis 20 Teilnehmern meist vier oder fünf Tage lang und geben dann ein öffentliches Abschlusskonzert. Das fand bislang im ehemaligen Wohnzimmer der Villa statt. Schnuckelig und familiär wirkt das mit dem noch originalem Interieur an Ölgemälden, Porzellanvasen und Bücherschränken, ist aber eben auch sehr beengt.

Diese Metallfront ist das einzige, was man von dem neuen Konzertsaal sieht, der unter dem Grashügel liegt.

Diese Metallfront ist das einzige, was man von dem neuen Konzertsaal sieht, der unter dem Grashügel liegt. © Frank Wunderatsch

Erbaut und bewohnt hat das Haus sein Namensgeber: Henri Marteau (1874-1934), der weltberühmte Geigenvirtuose hatte sich 1910 in den Ort Lichtenberg verliebt. Damals besuchte er dort einen Kollegen in der Sommerfrische und war begeistert von der Gegend, die ihn an die Vogesen erinnerte, wo er seine Großeltern väterlicherseits oft besucht hatte.

Er guckte sich ein 16500 Quadratmeter großes Grundstück aus, erwarb es und baute darauf ein Haus als Sommerresidenz. Das nötige Geld dazu hatte der Professor der Berliner Hochschule für Musik dank hoher Gagen für seine Auftritte in aller Welt.

Schon in seinem ersten Sommer in Lichtenberg lud Marteau talentierte Schüler zum mehrwöchigen Unterricht ein. Untergebracht waren sie bei Privatleuten im Ort. Bei denen bedankten sie sich für die Gastfreundschaft mit einem musikalischen Abend. "Marteau, der 1919 seinen ersten Wohnsitz hierher verlegte, hat also genau das begründet, was wir noch heute tun", sagt Wirz.

Marteaus Witwe Blanche hatte das Haus bis zu ihrem Tod 1977 in unverändertem Zustand und so gut es ging erhalten. Zu Beginn der 1980er übernahm dann der Bezirk die Villa, um sie als Musikbegegnungsstätte im Sinne Henri Marteaus, der gemeinsam mit seiner Frau im Park des Anwesens begraben ist, weiterzuführen.

Längst erklingen in dem Haus aber nicht mehr nur Geigen. Die rund 40 Kurse im Jahr decken nahezu alle Fächer der klassischen Musik ab – von Cello und Trompete über Gesang bis zum Orchesterspiel. Nach wie vor wohnen die Schülerinnen und Schüler, die in Vor-Pandemiezeiten aus aller Welt kamen, bei Familien im Ort. Die Villa, in der es schon zum Üben eng wird, hat keinen Platz für Schlafzimmer.

Neue Übungsräume

Im Zuge der Umbaumaßnahmen konnte aber das alte Kellergeschoss neu gestaltet werden. Der Öltank kam raus, die Hausmeisterwohnung auch. So wurde Platz gewonnen für ein Bistro und drei zusätzliche Übungsräume. Das heißt: Künftig können zwei Meisterkurse parallel stattfinden.

"Durch Absenken des Fundaments ist quasi ein ganz neues Gartengeschoss mit hohen und hellen Räumen entstanden; das sind ideale Arbeitsräume", sagt Christoph Adt, Künstlerischer Leiter des Hauses und scheidender Präsident der Musikhochschule Nürnberg.

Detailaufnahmen der tonnenschweren Granitelemente.

Detailaufnahmen der tonnenschweren Granitelemente. © Frank Wunderatsch

Auch der 13 mal 13 Meter große Konzertsaal, in den 86 Sitze fest eingebaut sind, dient als Unterrichtsort. Einem, wie Wirz betont, mit herausragender Akustik. Es sei weltweit der einzige Saal, der dafür auf Granit setzt. Die schwerste Spitze wiegt sieben Tonnen. Insgesamt wurden 330 Platten zu 33 kristallinen Gesteinskörpern vereint.

"Die splitterartigen Elemente sind so angeordnet, dass sie die Akustik optimieren", erklärt Haimerl, der Spezialist für Konzerthäuser in der bayerischen Provinz. Vor sieben Jahren wurde sein aufsehenerregendes und preisgekröntes Konzerthaus in Blaibach in der Oberpfalz eröffnet. Jetzt rückt er Lichtenberg auf die Landkarte herausragender Architektur.

Vom "echten" Grünen Hügel in Bayreuth liegt der Haimerl-Hügel rund 60 Kilometer in nördliche Richtung entfernt, nur einen Steinwurf von der ehemaligen DDR-Grenze. Die mit rund 1000 Einwohnern zweitkleinste Stadt im Freistaat hat damit eine erstklassige Attraktion bekommen.

Informationen zum Programm unter www.haus-marteau.de

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