Spitze Zunge unter der Federboa

24.5.2016, 12:13 Uhr
Spitze Zunge unter der Federboa

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Die schrille Truppe nennt sich Allah Nasch; mit dem Namen verknüpft sie spielerisch das arabische Wort für Gott mit dem hebräischen Begriff für „Verkleidung“. Nichts ist den Akteuren heilig: Sie reißen Possen über die israelische Armee und palästinensische Politiker, parodieren jüdische Gebetsrituale, spotten über die Sexualpraktiken der Ultraorthodoxen und treten mit Judenstern auf dem Kleid als Barbra Streisand auf, der Ikone der Schwulen-Szene nicht nur in Israel. Allah Nasch tritt seit zwei Jahren in unregelmäßigen Abständen im „Video“ auf, der letzten verbliebenen Schwulenbar der Stadt.

Sie liegt in einer Seitenstraße der Fußgängerzone von Westjerusalem, wenige hundert Meter vom Felsendom der Muslime, der christlichen Grabeskirche sowie der jüdischen Klagemauer entfernt. Rund dreißig Zuschauer - Einheimische und Touristen - hat die die musikalische Revue heute angelockt. Jossale führt durch den Abend. Der junge Mann mit blonder Perücke, Glitzerkleidchen und endlos langen Beinen hat sich gerade einen Zuschauer im Publikum ausgeguckt: „Der ist so süß, den könnte man glatt dem Rabbi vorstellen“, witzelt er.

Mit Jossale wechseln sich diesmal Fatma und Supernova ab. Alle drei spielen böse Mädchen, sie fluchen, spucken, saufen und machen Zuschauer an. „Ich liebe tiefschwarzen Humor und genieße die erschütterten Gesichter der Leute, wenn sie sich fragen, wie weit wir noch gehen werden“, sagt Fatma - alias Michael, ein kurvenreicher 23-jähriger Schauspielstudent. „Ich liebe es, auf der Bühne politische oder religiöse Spannungen zu erzeugen. Wir müssen auf der Bühne verulken, wir haben keine andere Wahl. Entweder wir lachen darüber, oder es bringt uns zum Heulen.“

Michael bezeichnet sich als „Extremist in dieser Stadt voller Extremisten“. Ein Grund dafür sieht er in seiner Herkunft: Er wuchs auf als Mitglied einer der strengsten jüdischen Glaubensrichtungen, dem litauischen Zweig der Ultraorthodoxen. Seine Glaubensgenossen tragen selbst im Hochsommer lange schwarze Sakkos und Filzhüte und gaben dem wenig religiösen 23-Jährigen das Gefühl, schon immer als Transvestit aufzutreten.

Michael und der ebenfalls aus einer orthodoxen Familie stammende Jossi - alias Jossale - leben offen schwul. Zu Angehörigen, die das nicht akzeptieren, haben sie alle Brücken abgebrochen. Für Supernova, die dritte 'Schwester' des Trios, wäre ein solches Leben undenkbar. Der arabische Israeli, dessen enganliegendes Abendkleid eine sehr männliche Muskulatur umspielt, leistet derzeit seinen Wehrdienst auf einem Stützpunkt in Ramallah im besetzten Westjordanland - und der Gedanke, dass ein Verwandter oder einer der Kommandeure von seiner Homosexualität erfahren könnte, bringt ihn ins Schwitzen.

 

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Unter einem seiner Satinhandschuhe erinnert ihn sein Verlobungsring daran, dass er bald eine junge Muslimin aus seiner Heimatgemeinde heiraten wird. Deshalb will Supernova nicht mehr über sich preisgeben. Israel ist ein Land der Gegensätze, wenn es um Akzeptanz und Gleichberechtigung von Lesben, Schwulen oder Transsexuellen geht. Tel Aviv feiert sich als die ultralibertäre LGBT-Kapitale im Vorderen Orient. 50 Kilometer weiter östlich, in Jerusalem, treten Nicht-Heteros dagegen nur selten offen in Erscheinung.

Nach der Jahrtausendwende hatten Dragqueens noch eine zweite beliebte Anlaufstelle in der Heiligen Stadt, die legendäre Bar „Schuschan“ (Hebräisch für Lilie). Doch schon 2005 wurde sie von Brandstiftern zerstört und danach nicht wieder aufgebaut. Und bei den örtlich Gay Pride-Paraden kommt es immer wieder zu Übergriffen: Im vergangenen Jahr erstach ein ultraorthodoxer Wiederholungstäter dabei eine 16-jährige Teilnehmerin. Jossi lässt sich von all den Berichten nicht einschüchtern. Er macht sich im Jossale-Outfit auf den Heimweg, über dem Minikleid trägt er einen Mantel aus Leopardenfellimitat. Er lacht: „Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass der Taxifahrer mir Avancen macht.“

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