Trauer um Joseph Vilsmaier

12.2.2020, 19:48 Uhr
Trauer um Joseph Vilsmaier

Die Schönheit und die Abgründe seiner Heimat sowie der Nazi-Terror waren die zwei großen Themen, mit denen sich Joseph Vilsmaier in seinen Filmen immer wieder befasst hat. Dass er auch ein Händchen für Komödien hatte, bewies er 2008 mit der Verfilmung des populären bayerischen Volksstücks "Die Geschichte vom Brandner Kaspar". Den Kinostart des Nachfolgers, "Der Boandlkramer und die ewige Liebe", dessen Dreharbeiten Vilmaier erst im Dezember abschloss, wird er nun nicht mehr erleben. Am Dienstag ist der liebevoll "Sepp" genannte Münchner Filmemacher mit 81 Jahren gestorben.

Seinen Sinn für eindringliche Bilder erwarb sich der leidenschaftliche Jazz-Pianist als Kameramann, seine Regie-Karriere im Kino begann er erst relativ spät, im Alter von 49 Jahren: Mit "Herbstmilch", einer ländlichen Liebesromanze vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, gelang ihm 1988 auf Anhieb ein großer Erfolg.

Dreharbeiten in Nürnberg

Fortan bewies Vilsmaier immer wieder sein Gespür für zeitgeschichtliche Themen, auch wenn er sich dabei manchmal verhob. Die Kriegstragödie "Stalingrad" (1993) erntete heftige Verrisse. Doch für die Romanverfilmung "Schlafes Bruder" (1995), für die er eine Golden Globe-Nominierung erhielt, oder die "Comedian Harmonists" (1997) zollten ihm auch die Kritiker allerhöchstes Lob.

Auf der wahren Geschichte des Nürnberger Schuhhändlers Leo Katzenberger beruht sein Film "Leo und Claire", dessen entscheidenden Szenen Vilsmaier 2001 vor Ort an realen Schauplätzen drehte – darunter der historische Schwurgerichtssaal 600. Als Vorlage diente ihm Christiane Kohls Buch "Der Jude und das Mädchen", das die Verfolgung und Ermordung Katzenbergers dokumentiert, der 1941 verhaftet, wegen Rassenschande verurteilt und ein Jahr später hingerichtet wurde.

Der Angeklagte Katzenberger, den Michael Degen spielt, war seit 1939 Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde und ein erfolgreicher Geschäftsmann, der das Opfer einer Denunziation wurde. Bewohner seines Hauses zeigten ihn an, weil er angeblich mit einer Mieterin, der jungen Fotografin Irene Scheffler (Franziska Petri), ein Verhältnis hatte. Der Prozess war eine Farce. Er endete mit einem Todesurteil, das selbst in der NS-Zeit einem eklatanten Fall von Rechtsbeugung gleichkam.

Vilsmaier nahm sich bei der Verfilmung des Stoffes die Freiheit, aus der Verkettung menschlicher Schicksale ein Drama zu machen, das Elemente aus Erotik, Faszination, Missgunst und Zivilcourage verbindet. Dabei vermeidet sein Film klug Klischees bei der Figurenzeichnung und vermittelt eindringlich, wie in einer Atmosphäre ständiger Spitzelei Neid, Argwohn und Hass gedeihen. Die Uraufführung fand im April 2002 im Nürnberger Riopalast mit viel Prominenz statt.

Die Zuschauer berühren, Emotionen wecken, das war immer Vilsmaiers Ziel. Das Publikum wusste er damit zumeist auf seiner Seite. Ein Film, der ihm besonders am Herzen lag, war "Der letzte Zug" über die Todesfahrt von 688 Berliner Juden nach Auschwitz. Als kleiner Bub hatte er selbst das Leid der jüdischen Kinder erlebt. Co-Regisseurin war 2006 seine Frau Dana Vávrová, die zuvor in zahlreichen seiner Filme mitgespielt hatte. Sie starb 2009. Seit ihrem Tod, sagte Vilsmaier einmal, gehe er nicht mehr auf Friedhöfe, weil es ihn zu sehr schmerze.

Dafür, dass er in seinen Heimatdokumentationen ("Bavaria – eine Traumreise") ein allzu geschöntes, auch klischeebehaftetes Bild seiner bayerischen Heimat zeichnete, hat sich Vilsmaier zuletzt nochmal Kritik eingehandelt. Er nahm die Schelte gelassen. "Ich will nicht mein Leben lang nur vom Leid der Menschen erzählen, die Welt ist halt so, und daran kann ich nichts ändern", sagte er 2014 in einem Interview mit dieser Zeitung.

Schauspieler André Eisermann, der die Hauptrolle in der vielfach preisgekrönten Literaturverfilmung Schlafes Bruder spielte, würdigte Vilsmaier mit den Worten: "Von allen Naturereignissen, die mir in meinem Leben begegnet sind, war keines so gewaltig, so unvorhersehbar und von brodelnder Energie geladen wie Joseph Vilsmaier es war." Mit ihm zu drehen, sei immer ein Abenteuer gewesen. "Er wird mit fehlen."

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