Vorhang zu und Bühne frei!

2.4.2009, 00:00 Uhr
Vorhang zu und Bühne frei!

Diese Inszenierungen spielen sich, anders als im Theater, vor dem Vorhang ab und verdienen durchaus unsere Aufmerksamkeit. Liebevolle Arrangements aus Plüschtieren, Topfpflanzen und diversem Dekokram zwischen Kunst, Krempel und Heimarbeit.

So variantenreich wie die Anordnung sind die sogenannten Stores dekoriert, auch Gardinen genannt. Eine Gardine ist laut Definition ein dekorativer Blickschutz aus dünnen Textilien. Diese dürfen ohne Zweifel als eine der wichtigsten Errungenschaften des menschlichen Geistes erachtet werden. Schützen sie doch die Bewohner von Erdgeschosswohnungen vor den neugierigen Blicken von Nachbarn, Bibelkreuzrittern und Gerichtsvollziehern. Das tun sie, ohne den Blick zu versperren und die eigene Neugier zu bremsen.

Unsichtbare Beobachter

Wer einen Hauch Voyeurismus spüren will, muss sich nur einen halben Meter hinter einer solchen Gardine positionieren. Mit etwas Glück lässt sich ein Passant beim Nasenbohren oder ein Hundebesitzer beim philosophischen Dialog mit seinem vierbeinigen Begleiter erhaschen. Ich dachte, diese Stores wären weitgehend aus der Mode gekommen, weil der Bildungsbürger im 5. Stock keine mehr benutzt – weit gefehlt. Im Stadtbild spielen Fensterszenen, vor allem mit Gardinen, eine wenig beachtete, aber umso wichtigere Rolle als Gestaltungselement.

Und das eine oder andere Szenelokal sollte sich daran erinnern, dass man mit Vorhängen die Akustik verbessern und die Gemütlichkeit verstärken kann.

«Mein kleiner grüner Kaktus»

Allen Freunden des Schönen und Guten sei ein Spaziergang durch die unauffälligen Seitenstraßen in Johannis, Gostenhof oder St. Leonhard empfohlen. Das ist spannender als manche Kunstschau, manchmal auch geistreicher. Denn die Schöpfer wollen sich wirklich mitteilen, uns erzählen: «Hier wohne ich, mit meinen Lebensgefährten, den Sammelpuppen, mit meiner Club-Fahne und mit meinem kleinen grünen Kaktus. Das ist mein Reich, meine Heimat.»

Für das Lebensgefühl und das urbane Wohlbefinden sind diese Schöpfungen wichtiger als manches Denkmal oder manche Sehenswürdigkeit. Zumal in einer Stadt wie Nürnberg, die an so vielen Orten nicht so attraktiv ist, auch weil sie sich von der Zerstörung im Dritten Reich nie wirklich erholt hat.

Da ist es gut zu wissen, was eine Stadt lebenswert macht: die Gestaltungskraft ihrer Bewohner, und sei sie noch so banal. CHRISTIAN OBERLANDER