Mehr Durchblick in der Notaufnahme

18.11.2010, 13:00 Uhr
Mehr Durchblick in der Notaufnahme

© Hans-Joachim Winckler

„Es geht immer sehr hektisch zu“, schildert die Ärztin Anja Mathews die Arbeit in der Notfallaufnahme eines Klinikums, „und manchmal sind noch nicht einmal alle Befunde für den Patienten da.“ Trotzdem soll der behandelnde Mediziner die richtige Diagnose stellen, die Ursache dafür finden und eine sinnvolle Behandlungsempfehlung abgeben. Das ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe für durchschnittlich 15 Minuten Zeit.

Das weiß auch Dr. Harald Dormann, der die zentrale Notaufnahme des Klinikums Fürth leitet. „Jeder Arzt gibt sein Bestes“, sagt er, sieht aber ein großes Defizit bei den Nebenwirkungen von Arzneimitteln: Mindestens fünf, wohl aber eher zehn Prozent seiner Patienten kommen deshalb in seine Abteilung, nur ein Bruchteil davon wird erkannt — nicht nur in Fürth, sondern bundesweit. Nun wird jeder Arzt bei Magenblutungen an Missbrauch von Schmerzmitteln denken, oder daran, dass Psychopharmaka den Sturz eines älteren Patienten ausgelöst haben könnten. Aber vielleicht wird mal vergessen, einen Patienten mit Herzproblemen nach der Einnahme eines Schmerzmittels zu fragen. Das kann nämlich zusammen mit Betablockern zu Rhythmusstörungen führen.

Die eine Seite des Problems liegt darin, dass viele Menschen mit Medikamenten eher lässig umgehen: Sie lassen sie sich beim Hausarzt verschreiben, kaufen sie in der Apotheke — und jeder sechste nimmt noch Pillen oder Tropfen, die für den Ehepartner oder Freunde gedacht waren. Vier bis sechs Arzneien kommen pro Patient im Schnitt zusammen, im Einzelfall sind es über 20. Da wird schon einmal eines vergessen oder verschwiegen.

15000 Fachinformationen

Schon das macht die Situation für einen Arzt unübersichtlich. Aber außerdem müsste er knapp 15000 Fachinformationen über Nebenwirkungen im Kopf haben — und das geht gar nicht. Läuft es unglücklich, wird der Patient zwar von seinen Beschwerden befreit, soll aber hinterher exakt jenes Medikament wieder nehmen, das sie verursacht hat.

Das hat auch die Bundesregierung erkannt und deshalb drei Forschungsprojekte ausgelobt. Eines davon ging jetzt in Fürth an den Start; mit den Ergebnissen sollen im Ideal jene 16 Millionen Menschen besser versorgt werden, die jährlich in einer Notaufnahme in der Bundesrepublik Hilfe suchen. Es geht auch um viel Geld: Nicht erkannte Nebenwirkungen von Arzneimitteln verursachen zehn Prozent aller Krankenhaustage und kosten etwa 400 Millionen Euro.

„Wir brauchen technische Hilfsmittel“, gibt Dormann das Ziel vor. „Ziel ist eine Datenbank, die wir in Echtzeit nutzen können.“ Dazu aber müssen die Daten erst einmal in den Rechner, die oft noch handschriftlich erfasst werden. Das geschieht jetzt schnell mit einem ePen, einem intelligenten Kugelschreiber. Er liest mit einer Kamera alles mit, was auf einem speziellen Formular erfasst wird. Zugleich werden die Mitarbeiter geschult und besonders für Probleme mit Medikamenten sensibilisiert. Die Daten gehen dann anonymisiert an eine Studiendatenbank am Lehrstuhl für Medizinische Informatik an der Universität Erlangen. Auf die können wiederum Experten des Lehrstuhls für Klinische Pharmakologie zugreifen und prüfen, ob Nebenwirkungen im Spiel sind. Durch diese Kontrolle lässt sich feststellen, welche Schäden durch Arzneimittel noch häufig übersehen werden.

Zeitgleich wird eine Datenbank installiert, in der fast alle denkbaren Nebenwirkungen dokumentiert sind. Sie soll einmal in das bereits vorhandene Klinik-Informationssystem integriert werden und dem Arzt dann signalisieren, bei welchen Diagnosen er an welche Medikamente denken muss.

Da sind die Mitarbeiter wohl froh, dass sie nicht alle Folgen behandeln müssen: Bekommt eine Frau ein Antibiotikum und nimmt zugleich die Pille, kann es zu einer Schwangerschaft kommen. Dass ist dann aber eindeutig ein Fall für die Geburtshilfe.