Fernsehfazit zur WM: Der große Bogen um Wladimir Putin

15.7.2018, 15:55 Uhr
Fernsehfazit zur WM: Der große Bogen um Wladimir Putin

© ZDF / Patrick Seeger

Die vermeintliche Problem-WM 2018 stellte ARD und ZDF früh vor große inhaltliche Herausforderungen. Schon lange vor Turnierstart begleiteten Kontroversen die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Eine fragwürdige Vergabe an Ausrichter Russland, eine bedenkliche Menschenrechtssituation vor Ort und der Verdacht, Machthaber Putin werde das Sportgroßereignis instrumentalisieren, um sich so mehr Legitimation zu verschaffen, beschäftigte noch kurz vor der Eröffnung etliche Polit-Talkshows auf eben jenen Fernsehstationen, die die Spiele live übertragen würden.

Nach rund vier Wochen Berichterstattung durch ARD und ZDF lässt sich sagen: Die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 war für die öffentlich-rechtlichen Sender entgegen der Erwartungen Vieler "business as usual". Wenn es um Russland ging und nicht um den Sport, standen Land und Leute im Fokus oder die reiche Kultur des Gastgeberlandes, wie sonst eben auch, wenn Nationen im Rahmen von Weltmeisterschaften oder Europameisterschaften ihre Pforten für Fußballfans aller Herren Länder öffnen. Die politischen Begleiterscheinungen gingen im Spektakel unter.

Zu viel Politik hätte zum Eigentor werden können

Für Kommunikationswissenschaftlerin Christiana Schallhorn von der Universität Würzburg kam dies nicht überraschend. "Zum einen hat sich auch bei vielen vorangegangenen Sportgroßereignissen gezeigt, dass insbesondere in den zwei Wochen vor der WM eher kritisch auf das Gastgeberland geschaut wird, aber mit Beginn der Spiele oder Wettkämpfe der Fokus ganz klar auf der Sportberichterstattung liegt und kritische Themen in den Hintergrund rücken", erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Mensch-Computer-Medien. "Zum anderen wurde Putin im Vorfeld der diesjährigen WM unterstellt, dass er die WM für die eigene Propaganda nutzen wird. Es könnte daher eine bewusste Entscheidung gewesen sein, ihm diese Bühne gar nicht erst zu geben und wenig über ihn zu berichten."


+++ WM-Podcast: Der politische Blick auf DFB und WM +++


Und dennoch: Einige Politiker verweigerten unter politischen Gesichtspunkten die Einreise nach Russland, viele Fußballfans riefen im Vorfeld zum Boykott der WM auf. Dass sich ARD und ZDF derartig scheuten, politische Aspekte zu thematisieren, stattdessen beispielsweise lieber Moderatorin Palina Rojinski als Kulturvermittlerin in wenig aussagekräftigen Beiträgen durch das Land schickten, wirft auch Fragen hinsichtlich der Kritik- und Kontrollfunktion auf, die die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in Deutschland laut Programmauftrag zu erfüllen haben. Insbesondere wenn in Russland demokratische Standards bedroht sind, deren Schaffung eine der Funktionen der Medien in Deutschland darstellt. Hätten die Sender zu kritisch berichtet, wäre dies aber womöglich zum Eigentor geworden, Zuschauer vergraulen möchten ARD und ZDF schließlich auch nicht. Im Gewissenskonflikt zwischen journalistischer Sorgfalt und sportlicher Unterhaltung siegte also letzterer Widersacher, gleichwohl bei einer Fußball-Weltmeisterschaft natürlich trotz aller Begleiterscheinungen der Sport höchste Priorität haben sollte.

TV-Fußball erfüllt soziale Funktionen

Weil König Fußball in Deutschland letzten Endes alles überstrahlt und die deutsche Nationalmannschaft als Titelverteidiger anreiste, entstand zum Turnierstart dann doch wieder so etwas wie Euphorie – zumindest deuten darauf die Einschaltquoten hin, die in etwa gleichauf mit denen der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien lagen. Christiana Schallhorn sieht am ungebrochen hohen Zuschauerinteresse die soziale Bedeutung bestätigt, die der Sport einnimmt. "Das gemeinsame Daumendrücken, die Identifikation mit der Mannschaft und das Gemeinschaftsgefühl in der Gesellschaft, das daraus entsteht, sind ganz zentrale Motive, die die Fußballweltmeisterschaft auch für sonst weniger Fußballinteressierte so attraktiv machen", gibt die Forscherin, die 2016 zum Thema "Kultivierung durch Sportgroßereignisse" promovierte, Einblicke in die Gedankenwelt der Fußballfans. "Wenn der Ball rollt und man gemeinsam vor den Fernsehern, in den Bars oder auf Fanmeilen mit der eigenen Mannschaft mitfiebert, dann rücken alltägliche Probleme oder politische Konflikte in den Hintergrund und das Wir-Gefühl in den Vordergrund."

Dabei bot die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 sportlich kaum Themen, die übermäßigen Anlass zur Ablenkung von den politischen Begleiterscheinungen hätten geben können. Zu den sportlichen Geschichten der vielleicht spielschwächsten Weltmeisterschaft des neuen Jahrtausends gehörte auch, dass Deutschland schon in der Gruppenphase sang- und klanglos aus dem Turnier ausschied. Aber statt um die deutschen Erfolge ging es in den Berichterstattungen danach eben erst einmal darum, wer schuld sei. So wurden neue Themen gesetzt, etwa um den höchst fragwürdigen Umgang mit Nationalspieler Mesut Özil seitens des DFB.

WM brachte mehr gesellschaftliche Erkenntnisse als sportliche

Dass der durch unglückliche Äußerungen auffällig gewordene DFB-Teammanager Oliver Bierhoff kurz darauf im WM-Studio bei Oliver Welke und Oliver Kahn gastierte, hätte journalistische Glanzpunkte setzen können, zu denen der Sport selbst keine Gelegenheit gab. Zu wenig Sendezeit, zu harmlose Fragen und ein zu spröder Bierhoff verhinderten auch dies. Deshalb fand sich in den Vor- und Nachberichten zu den WM-Spielen bald nicht mehr als das bloße Herunterbeten von Zahlen und Fakten oder die Aufarbeitung müder Kicks, die eigentlich kaum einer Analyse bedurften. Verdient hatten es die Experten und Moderatoren nicht, bei denen ARD und ZDF mit teilweise sehr positiven Überraschungen ein gutes Händchen bewiesen hatten.

Fernsehfazit zur WM: Der große Bogen um Wladimir Putin

© ZDF / Peter Kneffel

Irgendwann gab die Fußball-Weltmeisterschaft sportlich nur noch so wenig her, dass sich die Öffentlichkeit an ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann abarbeitete und die Medien Hassposts in den Sozialen Medien zur gesellschaftlichen Debatte erhoben. "Es heißt, Sport sei ein Spiegel der Gesellschaft. Die diesjährige WM hat gezeigt, dass Themen wie Rassismus und Sexismus nach wie vor existent sind", findet Dr. Christiana Schallhorn. "Ob man eine Frauenstimme nun gut findet oder nicht, ob diese nur ungewohnt ist oder nicht - da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Wenn es jedoch darum geht, ob man jemanden öffentlich so respektlos und verachtend behandeln darf, gibt es nur eine Antwort: Nein - und das muss auch laut und deutlich und immer wieder gesagt werden", betont die Wissenschaftlerin.

Dass die WM-Berichterstattung im Fernsehen also teilweise mehr gesellschaftliche Erkenntnisse gab als sportliche oder politische, ist eine von vielen Lehren, die sich aus den vier Wochen ziehen lassen, in denen die Fußball-Weltmeisterschaft wieder die Medienlandschaft dominierte, aber nicht nur fußballerisch viele Wünsche offenließ. So wirkt es fast ironisch, dass trotz aller Diskussionen vorab, Russland als großer Gewinner aus dieser WM hervorgeht, das durch gute Organisation und großer Gastfreundschaft sehr positiv von sich reden machte.

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