Lärm, Anonymität, Stress: Die Großstadt kann krank machen

29.6.2015, 17:12 Uhr
Dichtes Gedränge am Bahnhof: Für sensible Gemüter sind solche Situa­tionen eine Belastung, die auf die Gesundheit schlagen kann.

© Andreas Schmitt Dichtes Gedränge am Bahnhof: Für sensible Gemüter sind solche Situa­tionen eine Belastung, die auf die Gesundheit schlagen kann.

Tem­po statt Langeweile, Inspiration und Ein­drücke an jeder Ecke: Das Leben in der Stadt kann spannend sein und guttun. Muss es aber nicht: Dass nicht jeder jeden kennt und quasi nie die Bürgersteige hochgeklappt werden, bedeutet auch Lärm, Anonymität und für manch einen Stress. Das kann zu einer Belastung wer­den.

Unter Städtern sind psychische Erkrankungen häufiger als unter Landbewohnern. „Angstzustände und Depressionen kommen bei Menschen, die in der Stadt leben, etwa 30 bis 40 Prozent häufiger vor“, sagt Andreas Meyer-Lindenberg vom Zentralin­stitut für Seelische Gesundheit an der Universität Mannheim.

Soziale Netzwerke wichtig

Dem Laien fällt auf Anhieb einiges ein, was nerven kann: Lärm, Dreck und Staub, Gerüche, beengte Wohn­verhältnisse, Anonymität. „80 Pro­zent der Menschen in der Stadt ken­nen ihre Nachbarn nicht“, erklärt Meyer-Lindenberg. „Dabei ist ein soziales Netzwerk für die psychische Gesundheit eines Menschen sehr wich­tig.“

Meyer-Lindenberg und sein Team fanden heraus, dass Stress und Gefüh­le bei Menschen aus der Großstadt anders verarbeitet werden. Ihr Hirn reagiert laut den Forschern deutlich empfindlicher auf Stress als das von Kleinstädtern und erst recht das von Landbewohnern. Nun wird nicht jeder, der in der Stadt lebt, auch psychisch krank. Ein erhöhtes Risiko hat, wer genetisch oder durch einschneidende psychologi­sche Erlebnisse vorbelastet ist.

Auch sind manche Menschen gelassener als andere. Und eine Menge Städter emp­finden es gerade als wohltuend, dass in der Stadt immer etwas los ist. Davon können jedoch nur diejenigen profitieren, die sich dem jederzeit ent­ziehen können, erklärt Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik in Berlin und Stressforscher an der dortigen Charité.

Oft unbemerkt

Die Folgen der Belastung sind offen­bar nicht gleich. „Stadtstress ist Kriechstress“, fasst es Adli zu­sammen. „Er kommt unbemerkt da­her.“ Die Belastung zeigt sich durch eine gereizte Stimmung, durch An­gespanntheit und Schlafstörungen, erklärt Iris Hauth vom Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißen­see. Wer die Symptome an sich be­merkt, sollte so früh wie möglich gegensteuern.

Die erste Maßnahme: Für Ausgleich zu der Anspannung sorgen. Der eine mag Sport, der andere kommt bei Yoga runter. Wohl tut auch ein Aus­flug in die Natur. „Wichtig ist es, einen festen Termin in der Woche für diese Auszeit festzulegen“, rät Hauth. Hilft diese Eigeninitiative nicht, sollte der Hausarzt oder ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie aufge­sucht werden.

Hohes Risiko

Denn ändert man nichts an den Umständen, ist das Risiko für eine Angststörung oder Depressionen laut Hauth hoch. Da aber die soziale Isola­tion einer der entscheidenden Stress­faktoren in der Stadt ist, sollte man das Übel bei der Wurzel packen und unter Leute kommen.

Aber: „Wenn man ins Theater oder ins Café geht, kommt man zwar unter Menschen, doch lernt man nicht unbe­dingt jemanden kennen“, so Hauth. Besser sollte man überlegen, wo man mit Gleichgesinnten Kontakt knüpfen kann. Adli nennt Chor, Lesekreis, Sport­verein oder kirchliche Begegnungs­stätten.

Am einfachsten, könnte man meinen, wäre der Umzug in ländliche­re Gefilde. Allerdings ist auch auf dem Land nicht alles pure Romantik. Besser ist es, sich bewusst zu machen, was die eigenen Bedürfnisse sind — und dann die Stadt neu für sich zu ent­decken.

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