Weil drei Kinder im Dorfteich starben: Prozess gegen Bürgermeister

4.1.2020, 14:19 Uhr
Der damals elfjährige Bruder fand seine toten Geschwister im Dorfteich auf.

© dpa Der damals elfjährige Bruder fand seine toten Geschwister im Dorfteich auf.

Das Unglück schockte die kleine Gemeinde in Hessen und sorgte bundesweit für große Trauer und Bestürzung: Drei Geschwister ertrinken an einem Sommerabend im Juni 2016 in einem Dorfteich in Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis). Ab Donnerstag (9. Januar) muss sich nun der Bürgermeister der 7000 Einwohner zählenden Gemeinde, die zwischen Marburg und Bad Hersfeld liegt, vor Gericht verantworten. Rathaus-Chef Klemens Olbrich (CDU) ist wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Verwaltungsoberhaupt vor, als Verantwortlicher für Sicherungsmaßnahmen versäumt zu haben, den Teich als potenzielle Gefahrenquelle abzusichern und einzuzäunen.

Die Ereignisse des 18. Juni 2016 verfolgen Olbrich laut eigener Aussage in Gedanken noch immer: "Das belastet mich. Die Bilder werden mir Zeit meines Lebens nicht mehr aus dem Kopf gehen", sagte der 62-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Er eilte am Abend sofort zum Unglücksort und sah die Folgen: drei in einer Garage aufgebahrte Kinderleichen. Einsatzkräfte hatten die leblosen Körper erstmal dorthin gebracht.

Bei den Opfern handelte es sich um die fünf, acht und neun Jahre alten Kinder einer in der Nähe wohnenden Familie. Der elf Jahre alte Bruder hatte seine spielenden Geschwister am Abend gesucht und nach Hause holen wollen. Als er das Unglück sah, alarmierte er Nachbarn und diese dann die Rettungskräfte. Laut den Ermittlern konnten der fünfjährige Junge und seine achtjährige Schwester nicht schwimmen. Der Neunjährige konnte schwimmen, er kam in dem trüben, 40 Meter breiten und ein bis zwei Meter tiefen Teich dennoch ums Leben. Die Familie verlor drei ihrer seinerzeit sechs Kinder.

"Gibt nicht immer Schuldige"

Am Tag nach dem Tod der Kinder traten die Eltern am Unglücksort öffentlich nicht Erscheinung. Auch in der Folgezeit hielten sie sich in den Medien zurück. Der Bürgermeister äußerte sich, nachdem er zunächst viele Monate nichts sagen wollte, bereitwillig zum Fall und seiner Sicht der Dinge. Für den ersten Prozesstag hat sein Anwalt eine umfangreiche Einlassung seines Mandanten in Aussicht gestellt.

Nach langem juristischen Hick-Hack um die gerichtliche Zuständigkeit für den aufsehenerregenden Fall wird am Amtsgericht Schwalmstadt nun die Schuldfrage aufgearbeitet. Der Verteidiger des Kommunalpolitikers, Karl-Christian Schelzke, beschreibt seine Erwartung an den Prozess mit einem Wort: "Freispruch." Kein Mensch habe zuvor in dem Teich eine potenzielle Gefahrenquelle gesehen. "Es gibt Schicksale, für die es keinen Schuldigen gibt. In unserer Vollkasko-Mentalität nehmen wir Deutschen an, man könne immer einen Schuldigen finden." Er sprach von "ungünstigen Umständen", die zum Tod der Kinder geführt hätten.

Fall hat bundesweit Bedeutung

Wichtig für den Prozess ist, um was für eine Art von Teich es sich handelt. Olbrich, gelernter Jurist und seit mehr als 25 Jahren im Amt, sprach von einem "Fischteich" oder "Freizeitteich", der keines Zaunes bedürfe. Schelzke sprach von einem "Badeteich". Für die Staatsanwaltschaft ist es ein "Löschwasserrückhalteteich" - und für den hätten Sicherungspflichten bestanden, für die der Bürgermeister verantwortlich sei. Für solche Wasserreservoirs für die Feuerwehr gibt es Vorschriften. Sie enthalten die Bestimmung, dass er von einem 1,25 Meter hohen Zaun umgeben sein muss.

Da so ein Unglück an vielen Orten hätte passieren können, räumt Rechtsanwalt Schelzke dem Fall bundesweite Bedeutung ein. "Viele Bürgermeister schauen gespannt auf das Verfahren und fragen sich, ob sie womöglich besser etwas einzäunen oder sichern sollten." Laut dem Strafgesetzbuch liegt der Strafrahmen für fahrlässige Tötung bei einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe.

Schelzke, früher Oberstaatsanwalt in Frankfurt, ehemals Bürgermeister in Mühlheim am Main und aktuell Geschäftsführender Direktor des Hessischen Städte- und Gemeindebundes, gibt zudem zu bedenken: Der Bürgermeister hätte die Entscheidung zur Einzäunung des Teiches gar nicht allein fällen können. "Dafür wäre ein Beschluss des Magistrats erforderlich gewesen. Weil der Teich seit Ewigkeiten aber so liegt, ist es unwahrscheinlich, dass der Magistrat zugestimmt hätte." Zumal es nie Anhaltspunkte gegeben habe, dass der Teich eine Gefahr darstelle. "Nie hat irgendjemand darauf hingewiesen", so Schelzke.