75 Jahre CSU: Eine Regionalpartei, die international sein will

12.9.2020, 05:50 Uhr
75 Jahre CSU: Eine Regionalpartei, die international sein will

© Foto: Herbert Voll

CSU-Vorsitzende neigen selten zur Bescheidenheit; die ist in ihrem Aufgabenprofil nicht vorgesehen, Lärmen gehört zum Geschäft. Folgerichtig verkündet Markus Söder ungeniert, seine Partei habe "in den vergangenen zwei Jahren einen großen Sprung" gemacht. Aber stehen bleiben dürfe sie jetzt nicht.

Söder führt, was für ein Zufall, die Christlich-Soziale Union eben diese beiden Jahre. Er ist ihr neunter Chef seit 1945, eine Zahl, deren Gewicht sich erst erschließt im Vergleich mit der Konkurrenz. Die SPD bringt es im gleichen Zeitraum auf zwanzig, die Doppelspitzen einfach gezählt. Söder darf an diesem Wochenende den 75. Geburtstag seiner Partei feiern, auch wenn das Datum eher willkürlich gewählt ist.

Vor 75 Jahren hatte zwar die Münchner Gruppe um Karl Scharnagl, "Ochsensepp" Josef Müller und Joseph Baumgartner beschlossen, dass sie für die Stadt eine Christlich-Soziale Union gründen, dies aber erst im Oktober vollzogen und schließlich im Januar 1946 einen Landesverband ins Leben gerufen, ein anfangs erzkonservativer, ganz auf Bayern fixierter Verbund.

Dass die CSU bisher mit einer einstelligen Zahl an Vorsitzenden ausgekommen ist, verdankt sie vor allem Franz Josef Strauß. Strauß hat die Partei 28 Jahre lang geführt und sie womöglich mehr geprägt, als die drei Vorsitzenden vor und die fünf nach ihm, sie geöffnet nach Berlin und Brüssel, der Regionalpartei jene internationale Rolle zugeschrieben, die sie bis heute beansprucht. Der Oberbayer steht für so ziemlich alles, was die CSU für die meisten ausmacht.

Böse und genial

75 Jahre CSU: Eine Regionalpartei, die international sein will

© Foto: Markus Söder, privat

Die einen sehen in ihm bis heute die Inkarnation des politisch Bösen. Sie halten ihn für empfänglich für Vergünstigungen und Vorteile aller Art, für einen Polterer und Polemiker. Für sie ist er die Inkarnation des Amigo-Systems, über das später Nachfolger Max Streibl stolpern sollte. Die anderen sehen in ihm jenen Mann, der den Freistaat neu erfunden und vom Agrar- ins Industriezeitalter geführt hat – ein Wandel, den später Edmund Stoiber weiterentwickelt hat zum Hightech-Standort.

Strauß, das zumindest ist unbestritten, hat die barocke CSU geschaffen. Er hat mit schillernden Farben ein Bild seiner Partei und des Freistaates gemalt, das CSU und Bayern zu einer Einheit verschmolz. Seitdem spielt die CSU hemmungslos mit jedem Klischee, als habe sie die Berge aufgetürmt, die Seen aufgefüllt und all die Traditionen erfunden, die zumindest Oberbayern auszeichnen. Tatsächlich gebührt Strauß die Ehre, dass er die Tracht salonfähig gemacht und sie ins kollektive Bewusstsein der Bayern transferiert hat.

Strauß vs. Spiegel

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© Foto: Markus Söder, privat

Natürlich steht die Zeit unter Strauß auch für jene CSU, an die sie heute in der Partei lieber nicht mehr denken. Es war die Zeit der Spiegel-Affäre, als Strauß missliebige Medien zum Schweigen bringen wollte. Die Zeit, in der eine Stoppt-Strauß-Plakette den Staatsapparat gegen eine Schülerin auf den Plan rufen konnte. Die Phase, in der der CSU-dominierte Bayerische Rundfunk sich aus der ARD ausklinkte, wenn die Kabarettsendungen zeigte oder einen Film über Homosexuelle. Der Einfluss der Kirche, insbesondere der katholischen, war enorm und die CSU so konservativ aufgestellt wie danach nie wieder.

Markus Söder gibt bis heute den glühenden Strauß-Verehrer und erzählt gerne, dass er als Jugendlicher ein Poster mit dem CSU-Vorsitzenden im Zimmer hatte. Tatsächlich eint die beiden politisch wenig. Stil, Selbstverständnis, Tonfall, überall trennen sie Welten.

75 Jahre CSU: Eine Regionalpartei, die international sein will

© Foto: Markus Söder, privat

Söder etwa gibt sich zurückhaltend beim bundespolitischen Anspruch der CSU. Das hatte sich schon unter seinen Vorgängern abgezeichnet. Theo Waigel, der Brave unter den Parteivorsitzenden, träumte nach der Wende den Traum einer bundesweit agierenden CSU und half der ostdeutschen DSU. CDU-Chef und Bundeskanzler Helmut Kohl allerdings intervenierte. Die DSU ist heute zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft.

Kohl kannte die Expansionsgelüste der Bayern. 1976 holte sein Dauerrivale Strauß die CSU ans bundesweite Licht, als er den Kreuther Trennungsbeschluss fassen ließ. Der hielt keinen Monat. Die CSU musste erkennen, dass der Preis zu hoch wäre. Einer bundesweit agierenden CSU stünde ein CDU-Landesverband in Bayern gegenüber. Die Schwestern hätten sich kannibalisiert.

Innerlich zerrissen

Seitdem hadert die CSU mit ihrer Rolle, will sie einerseits ihren bundespolitischen Anspruch zementieren und schreckt andererseits immer wieder davor zurück. Edmund Stoiber, der kühle Technokrat, wagte als Letzter die Kanzlerkandidatur. Den Schritt in ein eigens für ihn geschneidertes Berliner Superministerium vollzog Stoiber allerdings nie. Heute sucht die CSU ihre Rolle lieber im Freistaat und im Spagat zwischen Stadt und Land, zwischen Moderne und konservativem Weltbild. Ein Balanceakt, jedes Mal wieder. Generationen von Parteivorsitzenden etwa haben sich die Zähne daran ausgebissen, wie die CSU aus der Männer-dominierten Ecke kommen kann. Zuletzt scheiterte Markus Söder selbst mit einer Mini-Frauenquote light an der Männerfront.

Es ist bezeichnend, wie Innovationen in der CSU entstehen. Dass die Partei ihr Rollenbild – Küche, Kirche, Kinder – über Bord geworfen hat, verdankt sie weniger der Einsicht ihrer Protagonisten. Sondern dem Druck derer Kinder. Edmund Stoiber und Erwin Huber mussten sich von ihren erwachsenen Sprösslingen fragen lassen, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bringen sollten in einem Land, das beharrlich die nötige Infrastruktur verweigerte. Huber, neben Günther Beckstein als Ministerpräsident der glückloseste unter den CSU-Chefs, auf jeden Fall der mit der kürzesten Amtszeit, räumt heute ein, dass dieser familieninterne Druck ihn zum Umdenken bewegt habe.

Nicht erst seit Markus Söder weiß die CSU, dass sie ein Frauenproblem hat. In der Gruppe der Mittdreißigerinnen gilt sie wegen ihrer Familienpolitik als unwählbar; nur gut ein Fünftel ihrer 140.000 Parteigänger ist weiblich. Die sind im Durchschnitt sechs Jahre älter als CSU-Chef Söder.

Söder ist der vielleicht wandelbarste unter den CSU-Chefs. Seit zwei Jahren führt er die CSU in verschiedene Richtungen, hat er sich erst weit nach rechts gelehnt und dann beschlossen, das Heil seiner Partei liege in der Mitte. Söders Politik ist auch eine aus Versuch und Irrtum, ein stetiger Testlauf. Er gibt nicht mehr den Polterer à la Strauß, sondern den versöhnlichen Landesvater. Söder siedelt seine Rolle irgendwo zwischen seinen Vorgängern an.

Ein Mix aus allen

Der 53-Jährige versucht sich als Konservativer mit einer modernen Industriepolitik. Er hat die CSU mit der CDU ausgesöhnt, die absolute Mehrheit als Junktim der CSU beerdigt, die Partei begrünt, die CSU (mal wieder) neu erfunden. So sehr geht er in seiner Rolle auf, dass ihm über die CSU ein Satz gelingt, der zwar dem oberbayerischen, aber kaum dem fränkischen Gemüt entspricht. "Wir sprechen deutsch", sagt er, "aber mit bayerischem Akzent."

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