Akkordarbeit in der Quelle-Kantine

27.10.2009, 00:00 Uhr
Akkordarbeit in der Quelle-Kantine

© Horst Linke

Ob denn nicht auch Gehaltszettel und Sozialversicherungsbescheide genügen würden, fragt eine Zuhörerin. «Leider nicht», sagt Stotz. «Denn dann müssten wir jeden Antrag nachbearbeiten. Aber wir haben unser normales Geschäft ja auch noch. Und bei Tausenden Anträgen würde uns das komplett lahmlegen. Das sehen Sie sicher ein.» Die Zuhörer sehen es ein. Manche schlucken betreten.

Perfekte Logistik

Etwa 200 Menschen haben sich eingefunden zu dieser Auftaktveranstaltung des außergewöhnlichen Vorort-Services, den die Arbeitsagentur seit gestern den Quelle-Beschäftigten eine Woche lang anbietet. Ein komplettes Mini-Arbeitsamt wurde in wenigen Tagen im zweiten und dritten Stock des ehemaligen Versandzentrums in Nürnberg eingerichtet. 130 Mitarbeiter bayerischer Agenturen wurden dafür zusammengezogen. Ein Vorzeigeprojekt mit perfekter Logistik. Ergänzt wird es durch eine Beratungsstelle der Stadt Nürnberg, die Informationen über Wohngeld bietet. Und durch Psychologen des Klinikums, die helfen, mit den Zukunftsängsten klarzukommen.

«Das hier ist eine einzigartige Leistung», lobt Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD). Sein Fürther Amts- und Parteikollege Thomas Jung sendet eine Botschaft an die zukünftige Bundesregierung: «Wer in Berlin glaubt, man könne auf so eine Einrichtung wie die Arbeitsagentur verzichten, der ist auf dem Holzweg.» Jung findet es «wichtig, dass die Menschen, die so Chaotisches und Würdeloses erfahren haben, wieder Würdevolles erfahren.» Rainer Bomba, der Chef der bayerischen Arbeitsagenturen, erklärt: «Den Menschen ist zwei Monaten vor Weihnachten der Boden unter den Füßen weggezogen worden.» Deshalb hat er an alle Beteiligten die Parole ausgegeben: «Keine Hektik, keine Panik.»

Von Protest keine Spur

Alle zwei Stunden versammelt sich eine neue Gruppe Ratsuchender in der Kantine. Still und diszipliniert kommen und gehen sie. Von Protest keine Spur. Das Aufbegehren spielt sich höchstens hinter den Kulissen ab; unsichtbar für die Öffentlichkeit. Eine halbe Stunde lang werden sie in die Grundzüge der Arbeitslosigkeits- Bürokratie eingeführt. Bekommen Antworten auf Fragen, die sie nie im Leben stellen wollten. Wie berechnet sich Arbeitslosengeld? Welche Unterlagen brauche ich, um mich arbeitslos zu melden? Wie lange habe ich Zeit, eine neue Stelle zu finden, bevor ich Hartz-IV-Empfänger werde?

Danach werden sie in Kleingruppen zu Einzelgesprächen in separaten Zimmern geführt. Die Berater füllen mit ihnen die Fragebögen aus, mit denen sie sich arbeitslos melden und mit denen sie finanzielle Hilfen beantragen. Einen Stock tiefer warten außerdem Job-Vermittler. Wer Glück hat, kann gleich mit einem Angebot nach Hause gehen. Etwa 500 Mal, so schätzt Bomba, geschah das gestern bereits - bei 800 Menschen, die im Lauf des Tages nachgefragt haben. Mit 4.000 rechnet Bomba bis zum Ende der Woche.

Zwischen Hoffnung und Angst

«Wir haben alle unsere Komponenten gebündelt», sagt Elsa Koller-Knedlik, die Geschäftsführerin der Nürnberger Arbeitsagentur. «Was wir damit verbinden, ist Mut zu machen und Alternativen aufzuzeigen.» Eines aber können all diese Bemühungen nicht beseitigen: die lähmende Unsicherheit. Den Schwebezustand, in dem sich Tausende Quelle-Beschäftigte befinden, seit Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg das endgültige Aus zum 1. November verkündet hat. Ein Schwebezustand, der sich dadurch ergibt, dass erst rund 850 bisher tatsächlich eine Kündigung erhalten haben - noch dazu zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Manche zum 31. Dezember, manche erst zum 31. Mai.

Alle anderen sind hin und hergerissen zwischen Hoffnung und Zukunftsangst. Klarheit kann nur der Insolvenzverwalter schaffen - indem er sich entscheidet, wie viele Menschen er für Waren-Abverkauf und Firmen-Abwicklung überhaupt noch braucht. Ein Hindernis für einen Jobwechsel sehen die Arbeitsvermittler darin jedoch nicht. Wer jetzt schon eine neue Stelle findet, soll zugreifen. Auf Kündigungsfristen wird Primondo sicher nicht mehr bestehen.

Die Zeit drängt

So schreiben die Berater im Versandzentrum seit gestern Arbeitslosmeldungen und Arbeitslosengeld-Anträge im Akkord. Die Zeit drängt. Wolfgang Stotz weist auf eine wichtige Frist hin: Nur wer den Antrag bis zum 11. November einreicht, wird das Geld pünktlich zum 1. Dezember auf dem Konto haben. Aber für das Einreichen ist eben die Arbeitsbescheinigung nötig. Und die muss Primondo erst ausgeben. Den Quelle-Beschäftigten bleibt sogar da nur Warten und Hoffen.«