Asyl: Wenn Politik die Menschenwürde antastet

28.7.2018, 11:36 Uhr
Eine wachsende Zahl von Politikern reden über Migranten wie über Material. Der erste Satz des Grundgesetzes würde jedoch als Anstandsregel völlig ausreichen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Jedes Menschen.

© dpa Eine wachsende Zahl von Politikern reden über Migranten wie über Material. Der erste Satz des Grundgesetzes würde jedoch als Anstandsregel völlig ausreichen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Jedes Menschen.

Beispiele? Es gibt zu viele. Fangen wir mit einem Extremfall an: Bei einer Pegida-Demo in Dresden rufen Teilnehmer "absaufen, absaufen", als der Redner über die Seenotrettung im Mittelmeer spricht.

Wie weit entfernt ist dieser Hass von Politiker-Sätzen, die jene Retter zu Tätern stempeln? Was macht es mit dem Denken vieler Menschen, wenn eine wachsende Zahl von Politikern über Migranten redet wie über Material? Norbert Blüm sagte kürzlich: "'Asylanten' sind keine Kartoffel- oder Mehlsäcke, über deren sachgemäße Lagerung man streitet."

Ach, der alte Blüm. Der Gutmensch. Der Herz-Jesu-Sozialist: So winken da viele ab. Es hat sich aber in der Tat etwas geändert in der Art, wie wir reden und wie viele denken. Schleichend, zuletzt in forciertem Tempo.

Von "Asyltourismus" etwa sprach lange nur die NPD, dann die AfD, bis Markus Söder den Begriff (und ähnliche andere) in der CSU-Spitze einbürgerte - einen Begriff, den er nun nicht mehr verwenden will. Weil er sieht, was er damit angerichtet hat?

Zutiefst verunsicherte CSU

Er sieht auf jeden Fall Umfragen, die bisher keinerlei Hinweis darauf bieten, dass die neue Härte der CSU irgendwie hilft. Und er sieht eine zutiefst verunsicherte Partei, in der es gewaltig rumort. Es ist der Spitze - vor allem Söder, Dobrindt und Seehofer - in Rekordzeit gelungen, viele einst treue Anhänger massiv zu verstören, ja abzuschrecken.

Das sind Wertkonservative, Kirchgänger, Naturbewahrer, denen zuwider ist, was ihre (bisherige) Partei da anrichtet. Und es sind etliche Altvordere aus der CSU, die insgeheim oder teils öffentlich sagen, wie entsetzt sie von der Rigorosität sind, die wochenlang das Reden und auch Handeln ihrer Spitzen prägte.

Was gerade in Bayern an Abschiebungen lief, das ist sicherlich der Vollzug des Rechts; ausgewiesen wurden abgelehnte Asylbewerber. Aber welche? Nicht immer Straftäter oder Integrationsverweigerer. Gewiss: Bei Abschiebungen geht es nicht darum, wie sich jemand verhält. Aber Bayerns Diakonie-Chef Bammessel hat recht, wenn er sagt: "Es grenzt an Irrsinn, wenn wir motivierte, ausgebildete Migranten des Landes verweisen, obwohl wir mancherorts aus Personalmangel keine Pflegebedürftigen mehr aufnehmen können."

Verständnislose Firmenchefs

Mitten in der Nacht werden Schwangere abgeholt. Firmenchefs verstehen nicht, wenn Afghanen abgeschoben werden, die dabei sind, sich in ihren Betrieb zu integrieren. Alles rechtens. Aber gerecht? Sinnvoll? Christlich? Vernünftig?

Gut, dass der Protest gegen die inzwischen wieder eingebremste Härte der CSU auch aus der Partei selbst kommt und aus der Mitte der Gesellschaft, wie die Demo in München vor einer Woche zeigte.

Jene Hetze, die deren Veranstalter der CSU vorwerfen, war leider auch dort und im Vorfeld zu sehen. Wenn der Autor Friedrich Ani etwa schreibt, dass "Seehofer dem Gedanken der Nächstenliebe so fernsteht wie Beate Zschäpe", dann ist das infam. Auch Renate Schmidt schoss bei ihrer Empörung über Seehofer und seinen Satz mit den 69 Abgeschobenen an seinem 69. Geburtstag weit übers Ziel hinaus, als sie ihn für den Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer verantwortlich machte.

Verbal abrüsten, bitte! Anstandsregeln einhalten. Streiten, heftig debattieren: Ja, bitte, gern! Aber doch nicht mit Beschimpfungen weit unter der Gürtellinie. Da wird sonst etwas zerstört: die gegenseitige Achtung. Und vor allem: die Achtung vor Menschen. Ja, auch vor Flüchtlingen, über die bei uns zu oft geredet wird wie über Sondermüll.

Der erste Satz des Grundgesetzes reicht als Anstandsregel völlig aus: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Jedes Menschen.

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