Auch mit 70: Horst Seehofer denkt nicht ans Aufhören

4.7.2019, 05:53 Uhr
Horst Seehofer weiß, dass er kein Heiliger ist, dafür hat er in seinem Leben zu viele Menschen verprellt. Darüber werden ihn auch die Gratulanten nicht hinwegtäuschen.

© Foto: Soeren Stache/dpa Horst Seehofer weiß, dass er kein Heiliger ist, dafür hat er in seinem Leben zu viele Menschen verprellt. Darüber werden ihn auch die Gratulanten nicht hinwegtäuschen.

Wer Seehofer fragt, jetzt zu seinem 70. Geburtstag, wie es ihm geht, der bekommt stets die gleiche Antwort. Er sei "rundum zufrieden" nach mehr als vier Jahrzehnten Politik, die meiste Zeit vorne in der ersten Reihe oder zumindest in ihrer Nähe. "Das Werk war nicht nur lang", sagte er kürzlich in einem Interview, "es ist insgesamt auch geglückt."

Das ist richtig. Und mindestens genauso falsch. Seehofer hat die CSU, ihre Geschichte mitbestimmt, wie wenige andere. Ein halbes Jahrhundert ist er schon in der Partei, war Ortsvorsitzender, Bundestags- und Landtagsabgeordneter, im Bund Gesundheits- und Landwirtschaftsminister, in Bayern CSU-Chef und Ministerpräsident.

Seehofer, Sohn eines Bauarbeiters, drei Geschwister, erwähnt gern, dass er ein Mann aus einfachsten Verhältnissen sei, der es nach oben geschafft habe, allein. Netzwerke waren nie seine Sache; sie führten, sagte er einmal, "zu Abhängigkeiten. Netzwerke und Freundschaften sind nicht das Gleiche." Eine Spitze gegen Markus Söder, der seine Karriere auf Netzwerke aufgebaut hat. "Nützlichkeitserwägungen" nennt Seehofer das abschätzig.

Söder freilich hat gelernt, wie wichtig ein solches Geflecht sein kann, nicht nur für die Karriere, sondern auch als Sensorium für das, was in der Partei vor sich geht. Seehofers Antennen waren zeit seines politischen Lebens anders ausgerichtet. Er misstraut Parteifreunden, orientiert sich an dem, was er für die Stimme des Volkes hält. Als Bündnispartner ist Seehofer unbeliebt – zu flexibel, zu sprunghaft bleibt seine Taktik.

Spiele der Macht

Seehofer setzt nicht auf Loyalitäten, weder sich noch anderen gegenüber. In seiner Partei haben das viele erlitten, die seinen Machtspielen ausgeliefert waren. Seehofer hat sie gegeneinandergestellt, sie gelobt und verdammt. Niemand sollte sich sicher fühlen, keiner ihm nahekommen. Dabei hätte er das gar nicht nötig gehabt. Als Seehofer 2008 erst die CSU und dann das Ministerpräsidentenamt übernehmen musste, war seine Partei am Boden – die erfolgsverwöhnte CSU hatte die absolute Mehrheit im Land verspielt und mit ihr den Nimbus der Unbesiegbarkeit.

Seehofer hatte alle Freiheiten: Er war niemandem verpflichtet, musste keine Rücksichten nehmen, sich nicht vor internen Gegnern fürchten. Also rollte er die CSU auf, feuerte alle aus dem Kabinett, die älter als 60 waren, setzte eine Frauenquote für die Parteispitze durch, beerdigte die Atomkraft und den Donauausbau. Es war Politik aus dem Bauch; sie folgte keinem Konzept, nur einem Gefühl. Er kämpfte für und gegen die Windräder, für und gegen Stromtrassen.

Mit den Folgen dieses Politikstils ringt Bayern bis heute. Die CSU aber erstrahlte in neuem Gewand als modern. Sie war nicht mehr das Problem, sondern Teil seiner Lösung. 2013 gelang Seehofer, was ihm niemand zugetraut hatte: Er holte die absolute Mehrheit zurück.

Die Quittung für sein Tun

Seehofer hat alles gewonnen. Und danach alles verspielt. Er stürzte die Partei in einen Machtkampf, weil er erst seinen Rücktritt ankündigte und danach nicht gehen wollte. Er attackierte Kanzlerin Angela Merkel während der Flüchtlingskrise mit einer Härte, an der beinahe das Unionsbündnis zerbrach. Er rückte die CSU nach rechts, nahe heran an die AfD.

Die Quittung gaben die Wähler dreimal: erst bei der Europa-, dann bei der Bundestags- und schließlich bei der Landtagswahl. Die Wähler goutierten weder den Konflikt mit Merkel noch den Rechtsruck der CSU. Seehofer sieht bis heute keine Schuld bei sich. Schließlich habe nicht er zur Wahl gestanden. Dass der Parteichef die Linien vorgibt, ignoriert er beflissentlich.

Aus dem Amt des CSU-Vorsitzenden und aus dem des Ministerpräsidenten haben sie ihn gedrängt; sein Widersacher Markus Söder soll jetzt die CSU retten. Seehofer könnte sich zurückziehen, doch er macht weiter, vielleicht, weil er sich einen anderen Abgang wünscht. Dass Seehofer 2002 um ein Haar an einer verschleppten Grippe und der folgenden Herzmuskelentzündung gestorben wäre, dass er versichert hat, er wisse jetzt um den Wert des Lebens und werde kürzertreten, das ist lange her.

Ein harter Job

Das Innenministerium ist eine Mammutbehörde mit 20 nachgeordneten Ämtern, mit 80.000 Mitarbeitern und acht Staatssekretären. Es ist ein kräftezehrender Job voller Fallstricke. Manchmal wirkt Seehofer angegriffen, dann geht sein Atem schwer, sind die Ringe unter den Augen noch dunkler. Etwa unlängst im ZDF-Interview, als er den von einem Rechtsextremisten ermordeten Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke konsequent "Lüdeke" nannte.


Seehofer nach Fall Lübcke: Rechtsextremismus ist "brandgefährlich"


Wenigstens ist er an seinem 70. Geburtstag nicht im Büro. "Ein, zwei Tage" nehme er sich frei, hat er angekündigt, und verschwinde mit seiner Familie über den Geburtstag. Zumindest die Feier soll still werden. So still, wie Seehofers Leben nie war.

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