Auf zwei Rädern durch den Ostblock und zum heiligen Berg Ararat

10.8.2018, 08:00 Uhr
Auf zwei Rädern durch den Ostblock und zum heiligen Berg Ararat

© privat

Wie den Bock überhaupt von hier weg, raus aus dem unheimlichen, vom "Russen" unterjochten Ostblock?

Ich nahm die Maschine meines Freundes Max ins Schlepptau, und wir rollten, begleitet von den drei weiteren Bikern unserer Gruppe und einem Polizeiwagen, in die City von Sofia – zum Bahnhof. Unser verwegener Plan: die BMW per Bahngepäck nach Istanbul verfrachten, sie dort reparieren lassen - und unsere Tour ans Schwarze Meer, an die Ostgrenze der Türkei, an den Fuß des biblischen Berges Ararat, an den Vansee, nach Kappadokien weiter fortsetzen.

Die Karten versagten

Was keiner von uns wirklich glaubte: es klappte. Zwar kostete es uns drei Tage und (nach einem Tipp eines pfiffigen türkischen Zweiradmechanikers) ein paar D-Mark-Scheine Schmiergeld, um die Maschine aus den Fängen des Zolls zu befreien. Aber schließlich rollten wir, nachdem eben jener Mechaniker ein "neues" Getriebe aus seinem zwei Kubikmeter großen Ersatzteilberg eingebaut hatte, tatsächlich von Istanbul Richtung Nordosten, nach Samsun, Giresun und Trabzon am Schwarzen Meer.

Hinter Rize, dem Zentrum des türkischen Teeanbaus, versagten irgendwo abseits der Hauptstraßen unsere Landkarten - und wir verirrten uns heillos in der grünen Hügellandschaft. Unsere auf Deutsch vorgetragenen Fragen nach dem Weg - auf Türkisch konnten wir lediglich fünf Bier ("beþ bira") bestellen - blieben ohne Resonanz. Und als die Dämmerung hereinbrach, richteten wir uns auf eine unbehagliche Nacht im Freien ein.

Bis uns ein altes, hageres Männchen auf Deutsch ansprach: Woher wir kämen, wohin wir wollten, ob wir uns verirrt hätten? Ob er uns sein Haus für eine Übernachtung anbieten dürfe?

Wir waren auf einen kleinen Teebauern gestoßen, der die langen Winternächte in den Bergen damit verbrachte, mit Hilfe eines alten, abgegriffenen Wörterbuchs ein wenig Deutsch zu lernen. Der uns zu sich einlud, darauf bestand, uns seine Kammer zu überlassen, während er in den Schuppen nebenan umzog, und der seine kargen Vorräte mit uns teilte. Nie haben mir altes Weißbrot, Honig und Tee mit Milch besser geschmeckt. Als wir ihm am nächsten Morgen etwas Geld anboten, winkte er fast ein wenig beleidigt ab. Mein Schweizer Taschenmesser nahm er als Geschenk aber gerne an, und die stahlblauen Augen in seinem faltigen Gesicht blitzten vor Freude über das nahe der Grenze zur Sowjetunion offenbar sehr seltene Teil.

Wenige Tage später war das Ziel der 6000-Kilometer-Tour erreicht: Vor uns tauchte der Ararat mit seinem schneebedeckten Gipfel aus dem Dunst der Hochebene auf: ein majestätischer Anblick, den jeder von uns in einem Erinnerungsfoto festhielt.

Auf dem Weg zurück nach Westen passierten wir den Vansee, dessen unfassbar strahlend blaue Farbe mir ewig in Erinnerung bleiben wird. Genau wie die Lebensmittelvergiftung, die ich mir mit einem offenbar nicht mehr ganz taufrischen Hackfleischgericht einfing, auf dem das mutmaßlich trockenste Spiegelei der Weltgeschichte thronte. Nach zwei Tagen Zwangspause und viel schwarzem Tee ging’s nach Diyarbakir, wo, wie wir erst später realisierten, genau in diesem Sommer die fast 20 Jahre andauernden Kurdenaufstände begonnen hatten. Deshalb also hatte man uns gelegentlich davor gewarnt, in die "Kurdenhauptstadt" zu fahren . . .

Vor einer viel konkreteren Gefahr allerdings hatte uns keiner gewarnt: vor Kindern. Genauer: vor Steine werfenden Kindern.

Mit diesem in Ostanatolien offenbar beliebten Brauch machten wir irgendwo zwischen Malatya und Kayseri Bekanntschaft, als ein paar Acht- bis Zehnjährige uns von einem Hügel neben der Straße aus bewarfen. Max, der voranfuhr, bremste instinktiv; ich, ein paar Meter dahinter, war abgelenkt von den Kids - und krachte prompt in sein Heck.

Während selbiges mit ein paar Metern Isolierband schnell wieder in Form gebracht war, sah’s bei mir schlechter aus: Die Rutschpartie auf dem rauen Asphalt hatte auf dem linken Unterarm Schrammen hinterlassen - und ein fünfmarkstückgroßes Loch in den linken Ventildeckel meiner GS geschrubbt. Ein Weiterfahren schien unmöglich, die ADAC-Notrufnummer lag schon griffbereit.

Auf zwei Rädern durch den Ostblock und zum heiligen Berg Ararat

© Michael Matejka

Aber Max hatte jetzt die Gelegenheit, sich fürs Abschleppen in Bulgarien zu revanchieren - und nutzte sie genial: Mit Hilfe eines Glasfasergewebes und eines Zwei-Komponenten-Klebers - beides hatte er seinem unerschöpflichen Bordwerkzeug entnommen - dichtete er das Loch im Ventildeckel derart gekonnt ab, dass ich bis nach Hause fahren konnte.

Dort kamen wir nach insgesamt vier Wochen und gut 6000 Kilometern auch tatsächlich alle wieder wohlbehalten an - vier von uns, allesamt BMW GS-Fahrer, auch tatsächlich gemeinsam mit ihren "Böcken". Nur einer musste den Zug nehmen und schließlich doch noch den ADAC bemühen. Was soll ich sagen: Japaner eben . . .

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