Detektivische Arbeit in den Blutgefäßen

26.2.2016, 20:34 Uhr
Detektivische Arbeit in den Blutgefäßen

© Roland Fengler

Herzkatheter – was ist das genau?

Darunter versteht man ein minimal-invasives Verfahren zur Untersuchung des Herzens. Über einen Einstich am Handgelenk, in der Ellenbeuge oder in der Leiste wird ein feiner Kunststoffschlauch (Katheter) in ein Blutgefäß eingeführt. Die Spitze wird bis zum Herzen geschoben. Mit einem Kontrastmittel und durch Röntgenaufnahmen werden dann die Blutgefäße auf einem Bildschirm sichtbar gemacht. So lassen sich der Blutfluss, die Herzkranzgefäße, -kammern und -klappen überprüfen.

Ziel ist meist, Gefäßverengungen zu entdecken und ihre Gefährlichkeit einzuschätzen. Mit dem Herzkatheter kann man solche Probleme aber auch beheben: Ärzte können verstopfte Gefäße mittels eines Ballons aufweiten oder eine Gefäßstütze (Stent) einsetzen. Das geht vorbeugend genauso wie im Notfall bei einem Herzinfarkt. Somit kann der Herzkatheter eine schmerzfreie Alternative zur Bypass-Operation sein. Die Patienten sind dabei wach. Je nach Ausmaß des Eingriffs können sie am selben Tag nach Hause oder bleiben ein bis zwei Nächte in der Klinik.

 

Welche Herzkatheter-Prozeduren beurteilt der NZ-Klinikcheck?

Nur die, die sich mit Herzkranzgefäßen (Koronararterien) befassen. Auch niedergelassene Ärzte führen diese Eingriffe durch – wir betrachten indes nur jene in Krankenhäusern. Dabei entstehen zwei Ranglisten. Das liegt daran, dass zwei wichtige Daten-Lieferanten ihre Berechnungen hier unterschiedlich weit abgrenzen. Die gesetzliche Qualitätsmessung prüft eine viel größere Patientengruppe als die AOK-Auswertung. Letztere betrachtet nur Herzkatheter, mit denen verengte Gefäße wieder durchlässig gemacht werden (Perkutane Koronarintervention), nicht auch Herzkatheter zur bloßen Untersuchung (Koronarangiographie).

 

Welche Risiken birgt ein Herzkatheter-Eingriff?

Geringe, aber im Einzelfall schwere bis tödliche. Der rein diagnostische Herzkatheter ist ein komplikationsarmes Verfahren, sagt Dr. Karsten Pohle. Der Kardiologe ist Ärztlicher Direktor des Nürnberger Krankenhauses Martha-Maria, das im NZ-Klinikcheck am besten abschneidet. Neue Studienergebnisse zeigen, dass die Methode mit einem Zugang übers Handgelenk die sicherste ist, so der Chefarzt. Werden mit dem Herzkatheter auch verengte Gefäße behandelt, so hängt die Erfolgsrate vom Erkrankungsgrad ab. Wie das Göttinger Aqua-Institut errechnet, waren in deutschen Krankenhäusern 2014 bei 3,7 bis 9,4 Prozent der Behandelten noch im Krankenhaus ein Schlaganfall, Herzinfarkt oder der Tod zu verzeichnen. Insgesamt hilft der Herzkatheter aber nachweislich, die Sterblichkeit bei akuten wie chronischen Koronarerkrankungen zu senken.

 

Wann bietet ein Herzkatheter-Eingriff gute Qualität?

Im Idealfall setzt er verstopfte Herzkranzgefäße wieder frei, was bundesweit in der allergrößten Zahl der Fälle glückt. Leitlinien und Qualitätsmessung ordnen aber auch eine möglichst geringe Strahlenbelastung sowie Menge des Röntgen-Kontrastmittels an. Je neuer die Geräte, desto leichter gelingt das, erläutert Karsten Pohle. Martha-Maria in Nürnberg führt relativ viele dieser Eingriffe durch (1800 im Jahr 2015), hat gerade ein weiteres Herzkatheterlabor in Betrieb genommen. „Moderne Technik ist aber nicht alles.“ Es brauche diszipliniert vorgehendes Fachpersonal. Und gute Beratung sei erforderlich, wenn sich herausstellt, dass wegen komplizierter Gefäßverengungen eine Folge-OP nötig wird. Unverzichtbar außerdem: „Es braucht eine gute Vordiagnostik beim Facharzt.“ Nur wenn sich dabei auch wirklich Durchblutungsprobleme des Herzmuskels zeigen, könne der Herzkatheter zur richtigen Methode für den richtigen Patienten werden. Brustschmerz allein kann auch andere Ursachen haben.

Herzkatheter-Untersuchungen stehen im Verdacht, aus wirtschaftlichen Gründen unnötig häufig angeordnet zu werden. Ist das so?

Die Frage bleibt strittig. Chefarzt Pohle urteilt: nein. „Für den Raum Nürnberg können wir keine Überdiagnostik oder Übertherapie sehen.“ Der Bedarf sei so groß, weil es immer mehr und schwerer betroffene Herzpatienten gebe, befördert durch Übergewicht, Diabetes und steigendes Lebensalter. Auch verspricht die technische Verfeinerung der Behandlung bessere Erfolge. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie sieht das genauso.

Zwei der gesetzlichen Qualitätsindikatoren zielen dennoch darauf ab, die überflüssige Anordnung eines Herzkatheter-Eingriffs aufzudecken. Immerhin bei jedem dritten Patienten, der sich zu der Untersuchung vorstellt, wird laut Aqua-Institut dann gar kein krankhafter Befund festgestellt.

Andere Kardiologen bewerten die Verhältnisse selbstkritisch. Sie sehen dahinter den Drang nach Auslastung zu vieler neuer Herzkatheterlabors. Rund 900 000 Herzkatheter-Eingriffe finden jährlich in Deutschland statt, Tendenz steigend. Gemessen an der Einwohnerzahl sind das in Europa herausragend viele. In etlichen Fällen, so die Kritiker, hätte auch die schonendere und preiswertere Untersuchung per Computertomografie denselben Zweck erfüllt.

Die Debatte greife zu kurz, meint Pohle. Er weist auf Effekte hin, die Krankenhaus-Rankings und Zahlen nicht abbilden können: Lücken in der Betreuung herzkranker Menschen außerhalb von Krankenhäusern. Das Gesundheitssystem sei zu wenig darauf ausgerichtet, Risikofaktoren für Herzerkrankungen abzubauen. So müssten etwa Patienten mit Stents stärker zu gesünderem Lebenswandel angehalten werden. „Hier haben wir in Deutschland noch viel zu tun.“ Kurz: Solange die Zahl der Herzkranken auf hohem Niveau liege, gelte das auch für die Zahl ihrer Behandlungen.

 

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