"Die Grenzwerte sind maßlos überzogen"

21.1.2019, 20:40 Uhr

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NZ: Sie haben schon im Juni 2018 mit einer Stellungnahme im Verkehrsausschuss von Diesel-Fahrverboten abgeraten und die geltenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide kritisiert. Warum hört keiner auf Sie?

Matthias Klingner: Das ist ein Politikum, das schon seit Jahren gärt und nicht ideologiefrei diskutiert wird. Die Fakten müssten aber in den entscheidenden Stellen lange bekannt sein. Wir haben Untersuchungen, die liegen schon zehn bis zwölf Jahre zurück: Als es losging mit den ersten Luftreinhaltegesetzen, haben wir riesige Datenmengen für verschiedene Bundesländer ausgewertet. Da kamen schon die ersten Erkenntnisse, dass der an den Straßen gemessene Feinstaub so gut wie nichts mit dem Verkehr zu tun hat. Etwa ein Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft kann man den Pkw-Dieselmotoren zuordnen. Zum Vergleich: Der Feinstaub schwankt um weit über hundert Mikrogramm, wenn wir die entsprechenden meteorologischen Bedingungen haben.

 

NZ: Wie sieht das genau aus?

Klingner: Die Sonne erwärmt den Boden und erzeugt so eine Vertikalströmung, die Luft steigt auf. In Sommermonaten gibt es durch die Sonne bis zu 40 Mikrogramm Feinstaub, durch ganz natürlich aufgewirbelten Staub, der zum Beispiel durch Reibung entsteht. Auch der Staub aus Sahara-Stürmen lässt sich irgendwo nieder. Mit jedem Schritt zermahlen wir Staubkörner. Bei Messungen am Stuttgarter Neckartor habe ich gezeigt: Wenn ich an meinem Jackett reibe, dann erzeuge ich genau den ultrakleinen Feinstaub, der als so extrem schädlich dargestellt wird, und das auch noch in einer Menge über dem Grenzbereich.

 

NZ: Beim Verkehr entsteht mehr Feinstaub durch Abrieb als durch Abgase.

Klingner: Ja, das betrifft dann eben auch Elektroautos. Jedes Fahrrad erzeugt Feinstaub. Ich plädiere dafür, die widersinnigen Feinstaub-Grenzwerte völlig wegzulassen: Die extremen Spitzen entstehen nicht durch extreme Emissionen aus Industrie, Hausbrand oder Verkehr, sondern durch einfache meteorologische Phänomene. Zum Beispiel eine Inversionswetterlage, da ist dann unten kalte Luft und oben warme Luft, die Vertikalströmung setzt aus. Plötzlich misst man alle Emissionen aus jedem Schornstein faktisch unten am Boden. Gegen dieses Phänomen kann man nichts machen, und wenn das 35 Mal im Jahr auftritt, dann können wir das auch nicht durch Luftreinhaltepläne einschränken. Alle Umweltzonen haben nicht die geringste Wirkung gezeigt.

 

NZ: Sollte man bei der Auswertung der Messstationen solche meteorologischen Phänomene miterfassen und ihren Einfluss herausrechnen?

Klingner: Das könnte man machen. Aber es wäre nicht nötig. Die Konzentrationen, die wir einatmen, sind nicht gesundheitsschädlich. Das habe ich schon vor zwölf Jahren in einer Studie fürs Bundesverkehrsministerium geschrieben, aufgrund dieser Studie ist eine weitere Verschärfung der Luftreinhaltegesetze auf europäischer Ebene ausgesetzt worden. Wir hatten Daten von Rauchern ausgewertet, diese Probandengruppe konsumiert Feinstaub in ganz anderen Größenordnungen. Um die Dosis zu erreichen, die bei Rauchern das Gesundheitsrisiko signifikant steigen lässt, müsste man bei durchschnittlichen Diesel-Emissionen 8000 Jahre lang am Straßenrand stehen. Das Gleiche trifft auch auf die Stickoxide zu. Die Stickoxid-Belastung in einer Küche, die mit Gas befeuert wird, geht auf 1300 Mikrogramm hoch, der Grenzwert auf der Straße liegt bei 40 Mikrogramm. Und wenn man drinnen eine Kerze anzündet, ist die Belastung mit Feinstaub und Stickoxid nach einer Stunde viel größer als draußen.

 

NZ: Wie kommt es zu diesen strengen Grenzwerten in der EU?

Klingner: In den USA ist der Grenzwert für Stickoxide doppelt so hoch, mit diesem Grenzwert würde es in Deutschland kein einziges Fahrverbot geben. Das ist hier ein Politikum, es geht nicht um die Gesundheit. Sondern darum, den Autoverkehr aus den Innenstädten herauszudrängen. Das ist ein Ziel, das man umweltpolitisch verfolgen kann – aber dann muss man es ehrlich machen, eine politische Entscheidung dazu treffen und es offen sagen. Und dann kommen noch die Standorte der Messstellen hinzu. Die sind natürlich so aufgestellt, dass man eine Grenzwertüberschreitung erwarten kann, wie etwa am Stuttgarter Neckartor. Geht man 50 Meter weiter weg, sinken die Werte auf die Hälfte und liegen weit unter dem Grenzwert.

 

NZ: Die Stickoxid-Werte sinken im Schnitt schon um bis zu 40 Prozent, wenn man den Abstand zur Fahrbahn um vier bis sechs Meter erhöht. Aber es halten sich eben auch Menschen nahe der Fahrbahn auf.

Klingner: Es geht immer um die Expositionszeit. Wie lange atmet jemand direkt die Abgase neben der Straße ein? Wie lange steht man denn direkt an der Bordsteinkante, das sind ja selten mehr als fünf Minuten. Selbst wenn Kinder eine Stunde lang direkt am Straßenrand spielen: Die Stickstoffdioxid-Belastung bei der Mutter in der Küche ist höher, wenn sie einen Gasherd hat. Und auch da stirbt kein Kind, die Grenzwerte der EU sind wirklich maßlos überzogen.

 

NZ: Aber gesund sind Feinstaub und Stickoxide ja trotzdem nicht. Und ohne Grenzwerte fehlt der Anreiz, menschengemachte Schadstoffe zu begrenzen.

Klingner: Es ist ja vollkommen richtig, gerade die Abgase zu reduzieren. Aber die Vorschriften müssen technisch umsetzbar sein und dürfen nicht wie eine Schlinge um die Automobilindustrie immer enger gezogen werden. Es gilt, einen vernünftigen Kompromiss zu finden und die Bevölkerung keiner Gesundheitsgefährdung auszusetzen. Wenn ein Mikrogramm Stickoxid aus einem Auspuff direkt am Fahrbahnrand nachweisbar ist, dann hat das null Einfluss auf das Gesundheitsrisiko der Bevölkerung. Wenn die Außenluft sauberer sein muss als die Innenluft, dann ist das schizophren.

 

NZ: Die Stickoxid-Belastung sinkt bereits seit Jahrzehnten. Wie viel bringen nun die Nachrüstungen alter Dieselautos mit Software-Updates?

Klingner: Das kann man alles vergessen, das macht keinen Sinn. Es gibt da im Moment keine vernünftige technische Lösung bei der Nachrüstung. Beim Software-Update passiert Folgendes: Die Motortemperatur wird herabgesetzt. Die Temperatur wurde aber ursprünglich erhöht, um die Partikel besser zu verbrennen, die Effizienz zu erhöhen. Damit verbrennt man aber mehr Stickstoff zu Stickoxiden. Jetzt setzt man die Temperatur also wieder herunter, dadurch wird der Rußpartikelfilter relativ schnell voll. Den muss man wieder irgendwo abbrennen, das erzeugt wieder Schadstoffe. Das ist ein Hin und Her. Wenn man Stickoxide reduziert, erzeugt man mehr Feinstaub. Wenn man einen Teil der Autoflotte umrüstet, wird sich nichts an den Messwerten ändern. Auch durch Hardware-Nachrüstungen kaum. Der Einfluss der betroffenen Fahrzeuge auf die Werte an den Messstellen ist extrem gering.

 

NZ: Wenn man von heute auf morgen alle alten Dieselautos mit einem Harnstoff-Katalysator nachrüstet, wie würden sich die Werte an den Messstationen ändern?

Klingner: Vielleicht um zehn Prozent. Aber auch nur in unmittelbarer Nähe der Station, schon zehn Meter weiter kann man überhaupt keinen Unterschied erfassen. Die Messstationen sind zum größten Teil so aufgestellt, dass sie Grenzüberschreitungen provozieren. Die sind nicht repräsentativ für ein größeres Stadtgebiet, meist noch nicht einmal für einen weiteren Straßenabschnitt, was eigentlich vorgeschrieben ist. Wirkungsvoller als Nachrüstungen wäre es für die Städte, den Verkehr flüssig zu halten, also grüne Welle statt Stop-and-Go. Das spart Kraftstoffverbrauch und senkt die Schadstoffemissionen um bis zu 25 Prozent. Und gegen den Feinstaub hilft viel Grün. Die Sonneneinwirkung hat einen großen Einfluss, insbesondere wenn sie den Boden aufheizt. Die Experimente mit Mooswänden bringen da nichts. Der Boden muss bepflanzt werden, und man braucht Bäume, die Schatten werfen. Das haben frühere Generationen bedacht, als sie Straßen beidseitig mit Bäumen bepflanzten und so die Alleen entstanden sind.

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