Die Helden des Alltags haben für andere alles riskiert

21.4.2009, 00:00 Uhr
Die Helden des Alltags haben für andere alles riskiert

© dpa

Eva Wilfling hat es geschafft. Gerade 14 Jahre ist die Forchheimerin am 2. Dezember 2008 alt, als vor ihren Augen eine Freundin in den eisigen Main-Donau-Kanal springt. Eva jagt der Nichtschwimmerin hinterher, holt sie an die Oberfläche und zurück ins Leben. Sie erzählt die Geschichte in knappen Sätzen. Der Wirbel, die Aufmerksamkeit, das Medieninteresse sind der 14-Jährigen unangenehm, bei allem Stolz, den sie fühlt.

Ein Kind im Feuer

Auch Daniela Luther und Matthias Gruber bleiben bescheiden. Auch sie haben gehandelt, ohne großes Nachdenken über die eigene Lage. Die jungen Polizeibeamten waren in Nürnberg auf Streife, als der Notruf kam. «In der Nähe brannte eine Wohnung«, sagt Gruber. «Wir waren vor der Feuerwehr dort.« Auf der Straße trafen sie einen Mann, sichtlich im Schock, der ihnen Hausschlüssel gab mit dem Satz, in der Wohnung seien Kinder.

Es gibt Regeln. Eine lautet: Die Beamten sollen auf die Feuerwehr warten. Die Polizisten sind trotzdem in die Wohnung. Am Ende eines Ganges haben sie im Rauch den Buben gesehen, vier Jahre alt, erinnert sich die 27-Jährige. «Philipp hat der geheißen«, sagt ihr 31-jähriger Kollege. Philipp stand in der brennenden Wohnung und bewegte sich auch nicht, als die Beamten ihn riefen. Daniela Luther hat ihn dann geholt und nach draußen gebracht. Gruber ist noch dreimal in den Qualm, jedes Mal für wenige Momente nur, weil der Rauch zu dicht war, hat nach Geschwistern gesucht und keine gefunden.

Schüchterne Helden

Eva Wilfing, Daniela Luther und Matthias Gruber kennen sich nicht, doch an diesem Tag kreuzen sich ihre Wege. Mit 76 anderen sitzen sie im Antiquarium der Münchner Residenz und hören, wie Ministerpräsident Horst Seehofer sie lobt als «mutige, zupackende Menschen«, als «Helden unseres Alltags«. Einmal im Jahr verleiht Bayern die Rettungsmedaille und holt die Helden ans Licht. Dann stehen sie im Rampenlicht, schüchtern, unsicher, sollen in Kameras blicken und berühmt sein für einen Tag.

Hundert Ideen habe sie, hat Eva Wilfling gesagt, was sie Seehofer sagen werde, wenn sie vor ihm steht. Am Ende kommen ihr nur zwei Worte über die Lippen. «Danke schön«, sagt sie, bei der sich die anderen bedanken sollten, als sie ihre Urkunde entgegennimmt, die Medaille und eine Uhr.

Hilfe für die Oma

Die Uhr - sie hat es Sebastian Hempe am meisten angetan, mehr als Medaille oder Urkunde. Sebastian ist sieben, er ist der jüngste Geehrte im Saal und erhält die Christophorus-Medaille mit 41 anderen, quasi die kleine Schwester der Rettungsmedaille. Sebastian hat Hilfe geholt, als seine Großmutter zusammengebrochen war. Jochen Buckel ist mit seinen elf Jahren schon abgeklärter. Im April 2008 war er mit seinem zweijährigen Bruder zum Weiher gegangen hinter seinem Elternhaus in Leutershausen bei Ansbach. «Wir haben Steine ins Wasser geworfen«, sagt er, «vom Steg aus.« Irgendwann hat er es hinter sich platschen gehört, als er sich umdrehte, war der Bruder weg. «Der lag im Wasser. Ich bin rein, habe ihn gepackt und rausgeholt.« So sei das gewesen, sagt Jochen. Seine Mutter erzählt noch ein bisschen mehr. Wie die Jungs tropfnass nach Hause gekommen waren. Wie sie erst allmählich begriffen hat, was passiert war.

Jochen wird seine Trophäen mit in die Schule nehmen. Dass er sie bekommen hat, verdankt er seiner Großmutter. Die fand, seine Heldentat gehöre belohnt, machte sie öffentlich und schlug ihn für die Medaille vor. Normal übernehmen das Politiker oder die Polizei. Wie bei Eugen Maas, Ursula und Walter Müller, Christine Schneider und Michael Woska. Der Zufall hat sie am 31. Oktober 2008 auf die Zollhausstraße in Nürnberg gebracht. Vor ihren Augen raste ein Wagen in eine Gasverteilerstation.

Zischen überhört

Sie haben zugepackt, die verklemmte Fahrertür geöffnet, den brennenden Wagen gelöscht. Sie haben das Zischen überhört, das aus der Station drang, weil eine der Gasleitungen gerissen war. «Es ist selbstverständlich, dass man hilft«, sagt Walter Müller. Das mit dem Gas, sagt seine Frau, hätten sie «gar nicht wahrgenommen«. Geändert hätte das Wissen nichts. «Wir hätten trotzdem geholfen«, sagt Ursula Müller. Und dann machen sie ihrem Ärger Luft. Über die anderen, die achtlos am Unfall vorbeigefahren sind. Über jene, die sich noch beschwerten, weil die Wagen der Helfer auf der Fahrbahn standen und sie sich behindert fühlten. Sie würden «es wieder tun, keine Frage«: in den eiskalten Kanal springen, in den Rauch gehen, Menschen aus brennenden Autos ziehen. Weil die Hilflosen «diese Chance verdient haben«.