Die Kleeblattstadt als Radrennstrecke: Ausnahmezustand in Fürth

18.8.2007, 00:00 Uhr
Die Kleeblattstadt als Radrennstrecke: Ausnahmezustand in Fürth

© de Geare

Als Erster ist er gestartet, als Erster im Ziel. Sebastian Lackert (28) ist stolz, seine Freundin umarmt ihn stürmisch: «Du warst großartig!» 50 Minuten, zwei Sekunden hat der Formenbauer aus Nürnberg gebraucht. Macht einen Schnitt von 39,5 Stundenkilometern. Bei Obermichelbach hat er einen Schluck Saft, eine Tube Gel in den Mund gedrückt. Gedopt? «Da pass’ ich schon auf», ruft die Freundin, «der kriegt nur Bananen.» Plus Training. Jährlich 12 000 bis 13 000 Kilometer stecken in den Beinen. Trotzdem reicht es nicht. Schon fünf Minuten später unterbietet ihn einer um gut anderthalb Minuten, am Schluss landet Lackert auf Platz 128.

Nur eine Stunde live

Egal. Deutschland-Tour, das ist ein Großereignis, mit dem sich Fürth zum 1000-jährigen Jubiläum selbst beschenkt. Gewünscht freilich hatte man sich das anders. Die jüngsten Doping-Geständnisse, der Ausstieg der TV-Sender aus der Tour de France ... Das hat Auswirkungen. Die Medien haben sich im Vorfeld zurückgehalten, statt eines ganzen Nachmittags aus Fürth wird das Rennen nur eine Stunde live übertragen.

Trotzdem: Das Wetter hält, die Stimmung ist gut, und die offiziell genannte Zuschauerzahl von 120 000 übersteigt selbst kühne Hoffnungen. «Der enorme Aufwand hat sich gelohnt», so Stadtsprecherin Susanne Kramer. Tatsächlich hatte man sich schwer ins Zeug gelegt. Ein Jahr Vorbereitung, 770 Helfer haben fünf Kilometer Absperrgitter und 1800 Schranken aufgebaut und die Strecke vorbildlich gesichert. Zudem zahlte Fürth 130 000 Euro Lizenzgebühren aus dem Jubiläumsfonds, die Kosten für Absperrung und Verdienstausfall werden wohl ähnlich hoch sein.

Aber wer weiß das schon? Die Radsport-Fans, die zum Start auf der Fürther Freiheit pilgern, bewundern futuristische Rennmaschinen und die muskelbepackten Beine der Fahrer. Hereinspaziert, kommen Sie, schauen Sie! Die Teams klappen ihre Lastwagen auf wie Chirurgen den Brustkorb: Komplette Werkstätten sind zu bewundern, unterm Zeltdach davor strampeln sich die durchtrainierten Athleten warm. Puls 180, na und?

Der Rundkurs, den ein paar verzwickte Kurven und drei Anstiege garnieren, ist für sie ein Klacks. Die längste der neun Etappen haben sie am Vortag heruntergespult. Kufstein -Regensburg, 192,2 Kilometer. Und doch: Beim Einzelzeitfahren kämpft jeder für sich allein, ist ein Schnitt von 46 bis 50 Stundenkilometern zu halten. So genau wollen es die Zuschauer meist gar nicht wissen. Sie genießen das Spektakel. Im Vacher Brunnen steht ein Kasten Bier schön kühl, vier Jungs proben die La-Ola-Welle, und vom Campingstuhl aus hat man die langgestreckte Kurve in der Ortsmitte gut im Blick.

Elena Diaz Manzaneque schaut sich die Augen nach spanischen Fahrern aus. Aus patriotischen Gründen. «Schau mal, die kämpfen», sagt sie zu Sohn Adrian. Die Profis, die mit einer Minute Abstand von der Rampe rollen, überholen mitunter. «Hopphopp», spornen die Obermichelbacher sie an. Jeder Fahrer wird eskortiert, Kamerateams sind auf Motorrädern unterwegs, Hubschrauber kreisen. Helga Lindner (47) hat sich extra frei genommen - auch weil sie die Straßensperren meiden wollte. Ein Hindernis. Den ganzen Tag ist die Runde für den Autoverkehr abgeriegelt, sind selbst die fünf «Schleusen» während der Rennen dicht. Das sorgte bei einigen Geschäftsleuten für Unmut, über 1500 Einwohner riefen beim Bürgertelefon an. In Obermichelbach rät die Polizei, doch in Vach einen Kaffee zu trinken, bis alles um ist.

Es geht ja doch ratzfatz. Das vorgeschriebene Tempo 30 in Ritzmannshof, von wegen. Die Radler schießen den Berg hinab, legen sich in die Kurven. Birgit und Michael Huppenkothen, passionierte Freizeitradler, würden sich gern ein Stückchen dieser Technik abschneiden. Wer den Fahrern ins Gesicht schauen will, muss sich schon an der Steigung postieren.

«Bleib sauber» als Motto

Saubermänner, Buhmänner - wer will das entscheiden? Die Deutschlandtour gab sich den Slogan «Bleib sauber - live clean», Interviews untermauern den Anspruch. «Doping machen die anderen auch, selbst die Amateure», sagt etwa Georg Loos (57). Was soll man schon machen? «Ein jeder möcht’ halt der Erste sein.»

Der Erste, das ist Jens Voigt. Auf ihm liegt aller Hoffnung, er soll beim Zeitfahren die Tour entscheiden. Ab dem Start um 16.05 Uhr klebt die Kamera dem 35-Jährigen am Hintern, das Gelbe Trikot flitzt durch die Vororte und über den Kanal, fliegt auf der alten Handelsroute durch die Würzburger Straße am Grünen Markt vorbei durch die Königstraße. Dann fährt Voigt übers Ziel: Platz eins!

Auf der Leinwand ist noch sein ausgelaugtes Gesicht zu sehen, die gebleckten Zähne - da versiegt schon der Applaus, die Zuschauer wenden sich ab, die Abbauhelfer rücken an. Die Deutschland-Tour zieht weiter. Heute, Samstag, wird die letzte Etappe von Einbeck nach Hannover gefahren. Und Fürth? Elisabeth Lösel seufzt enttäuscht: «Das gibt’s in Fürth so schnell nicht wieder.»