Eigene vier Wände: Deutschland hinkt in Europa hinterher

6.10.2019, 05:41 Uhr
Eigene vier Wände: Deutschland hinkt in Europa hinterher

© Foto: Sina Schuldt/dpa

Die Unterschiede sind enorm: 77 Prozent der Spanier, 73 Prozent der Griechen und 72 Prozent der Italiener leben in den eigenen vier Wänden. In Deutschland tun dies gerade einmal knapp über die Hälfte der Bürger, nämlich 51 Prozent. Bei der Eigentumsquote ist Deutschland Schlusslicht in der Europäischen Union.

Gut und günstig

Ist also doch was dran an der These vom geknechteten Deutschen? Beim Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn winkt man auf Anfrage unserer Redaktion ab. "Die Wohneigentumsquote ist kein Indiz für den Wohlstand eines Landes", teilt das Institut mit. Anders als in anderen Ländern basiere die Altersvorsorge in Deutschland nicht nur vorrangig auf Wohneigentum. Dass die Eigentumsquote so niedrig ist, sei in erster Linie aber "auf den gut funktionierenden Mietmarkt zurückzuführen". Heißt: In Deutschland gibt es seit Jahrzehnten gute und vergleichsweise günstige Wohnungen, "so dass nicht erst das Eigenheim die gewünschte Wohnqualität ermöglicht".

Warum das so ist, hat vor allem historische Gründe: Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Deutschlands Städte in Schutt und Asche lagen, war Wohnraum – wie so vieles – Mangelware. Die junge Bundesrepublik reagierte darauf mit massiven Anstrengungen beim Mietwohnungsbau.

Um private Investoren ins Boot zu holen, wurde ihnen über die Objektförderung in Form zinsverbilligter Darlehen und über steuerliche Anreize der Bau von Sozialwohnungen lukrativer gemacht. Die niedrige Eigentumsquote ist also vor allem Resultat einer massiven Kraftanstrengung des Staates.

Einer Kraftanstrengung, von der Mieter profitierten: weil sie relativ günstig wohnen konnten und über staatliche Unterstützungen wie das Wohngeld zusätzliche Hilfe vom Staat erhielten. Dazu kommt, dass sie das Gesetz weit besser schützt, etwa vor ungerechtfertigten Kündigungen, als Mieter in anderen europäischen Ländern. Dadurch sei das Mieten in Deutschland "eine attraktive Alternative zum Wohneigentum", bilanziert das BBSR.

Wie hoch der Anteil der Bundesbürger ist, die in der eigenen Immobilie wohnen, hängt auch stark davon ab, wo in Deutschland sie leben. In Großstädten wohnt nur jeder Vierte im Eigentum, auf dem Land ist es dagegen jeder Zweite. In Ostdeutschland ist die Eigentumsquote grundsätzlich geringer als im Westen – auch das hat historische Gründe: Die DDR-Planwirtschaft hielt die Mieten künstlich niedrig. Ein Ansatz, der immer stärker auch im wiedervereinigten Deutschland des Jahres 2019 diskutiert und in Berlin in Form eines Mietendeckels demnächst umgesetzt wird.

Sorgen Maßnahmen wie diese und die explodierten Immobilienpreise dafür, dass die Eigentumsquote weiter sinken wird? Oder geschieht das Gegenteil, weil Niedrigzinsen und Subventionen wie das Baukindergeld dazu führen, dass mehr Deutsche in den eigenen vier Wänden leben können? Das lässt sich aus Expertensicht noch nicht abschätzen. Einerseits erleichterten die historisch niedrigen Zinsen den Kauf, andererseits erschwerten eben diese Zinsen, überhaupt das nötige Eigenkapital anzusparen, so das BBSR. "Dies trifft vor allem die jungen Haushalte, die gezielt für das spätere Wohneigentum sparen wollen."

Dann doch lieber mobil bleiben

Seit gut 15 Jahren verharrt die Eigentumsquote in Deutschland auf einem weitgehend konstanten Niveau – und das, obwohl Immobilien nach der Jahrtausendwende noch erschwinglicher waren als in der jüngsten Vergangenheit. Das hat unter anderem mit der Alterung der Gesellschaft zu tun: Es gibt schlicht weniger junge Menschen, die sich ein Eigenheim anschaffen. Und die jungen Menschen, die es gibt, zieht es vermehrt in die Städte – wo Eigentum besonders teuer ist.

Viele entscheiden sich aber auch ganz bewusst gegen die eigene Immobilie – im Wissen, dass sie der nächste Arbeitsplatz womöglich in eine ganz andere Region führt.

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