Antisemitismus im Alltag

Fall Gil Ofarim: Warum es im Land an Zivilcourage fehlt

6.10.2021, 14:30 Uhr
Teilnehmer einer Demonstration des Bündnisses "Leipzig nimmt Platz" stehen vor dem "Westin Hotel" der Stadt, um Solidarität mit Gil Ofarim zu zeigen.

© Dirk Knofe, dpa Teilnehmer einer Demonstration des Bündnisses "Leipzig nimmt Platz" stehen vor dem "Westin Hotel" der Stadt, um Solidarität mit Gil Ofarim zu zeigen.

Preisfrage: Wissen Sie, wann in Deutschland der Posten des Antisemitismus-Beauftragten etabliert wurde: 1949 bei Gründung der Bundesrepublik? 1959, als jemand Hakenkreuze auf die Synagoge in Köln ? 1975 nach einem Attentat auf Heinz Galinski, den langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlin? Oder 1994 nach einem Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge? Alle diese Antworten sind falsch. Einen „Beauftragen der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus“ gibt es erst seit 2018.

Das ist eigentlich unbegreiflich in einem Land, in dem der Verfassungsschutz nach eigenen Angaben mehr als 13.000 gewaltbereite Rechtsextremisten kennt. Dazu kommen mehrere hundert "islamistische Gefährder" sowie tausende Anhänger islamistischer Organisationen, denen einschlägige Delikte zuzutrauen sind.

Tut der Bund genug?

Ob nun jene, die den jüdischen Sänger Gil Ofarim an einer Hotelrezeption in Leipzig demütigten und beleidigten, zu der ein oder anderen Gruppe gehören, ist ebenso ungewiss wie unerheblich: Es braucht schließlich nicht gebrochene Knochen, um sich verletzt zu fühlen. Worte und Gesten können denselben Schmerz verursachen.

Tut der Bund wirklich genug, um die Menschen für Antisemitismus im Alltag zu sensibilisieren? Tut er genug, um zu erklären, dass Judentum und jüdisches Leben in Deutschland schlicht dazugehören?

Diese Fragen stehen im Raum, wenn man betrachtet, dass sich kein anderer Hotelgast an Ofarims Seite stellte, als er so barsch angesprochen wurde. Die oft beschworene Zivilcourage ist offenkundig nicht so etabliert, wie man sich das wünschen würde. Zum anderen fragt man sich, wie oft es zu ähnlichen verbalen Übergriffen kommt, die nicht publik werden, weil der oder die Betroffene eben nicht so prominent wie der Sänger sind und viele tausend Follower in den sozialen Netzwerken haben. Deren Schmerz verhallt ungehört. Das darf nicht sein.

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