"Ganz anders": Schwarzer Polizist über Nürnberger Alltag

27.6.2020, 06:00 Uhr

© Foto: Andrea Beck

"Einige Bekannte haben sich erkundigt, wie es für mich ist, Polizist zu sein, und Verwandte aus den USA fragen nach der Polizei in Deutschland", sagt Marshall. Der 40-Jährige geht der Diskussion nicht aus dem Weg, sondern gewährt Einblick in seine Gedanken zum Tod von George Floyd und der aktuellen Situation der Polizisten in Deutschland.

"Seltsamerweise wurden auch mir schon die typischen Anschuldigungen vorgeworfen, wenn ich Leute kontrolliert habe, wie ,Das macht ihr nur, weil ich schwarz bin‘. Ich kann dann antworten, dass das ja wohl keinen Sinn macht, aber als weißer Polizist muss es schwierig sein, auf diese Vorwürfe zu reagieren", sagt Marshall. Die meisten seiner Kollegen hätten nicht diesen "Hautfarbebonus".

Der stämmige Mann mit den zwei silbernen Sternen des Oberkommissars auf den Schulterklappen sieht die Dinge gelassen. Er selbst habe äußerst selten Rassismus erfahren, nicht in der Schule, und nicht von Kollegen oder Vorgesetzten. "Beim Eignungstest in Nürnberg hatte ich sofort das Gefühl, dass meine Hautfarbe überhaupt keine Rolle spielt. Die Prüfer haben ja ihre festen Vorgaben, und ich habe gleich am Prüfungstag die Zusage erhalten", erklärt Marshall.

Auch als Polizist werde er selten auf seine Hautfarbe angesprochen. "Auf einer NPD-Demo meinte mal einer der Demonstranten zu mir, dass es schon erstaunlich sei, wer heute alles die deutsche Polizeiuniform trage. Aber solche Vorfälle sind eine Seltenheit", sagt Marshall. Der Beruf Polizist stand eigentlich nicht auf seiner Favoritenliste. "Ich wollte Pilot werden, aber das hat nicht geklappt, weil ich damals zu viele Punkte in Flensburg hatte", sagt Marshall und schmunzelt. "Der zweite Vorsitzende meines Musikvereins war aber Polizist und hat mir empfohlen, mich zu bewerben, und ich dachte mir, warum nicht?" Dass seine Hautfarbe es ihm schwerer machen könnte, hat ihm nie Sorge bereitet.

Zum Bund wollte der Sohn eines US-amerikanischen Soldaten aber nicht. "Ich hätte damals meine doppelte Staatsbürgerschaft verloren und deswegen habe ich verweigert und bin nach dem Abitur als Zivi zur Lebenshilfe Nürnberg."

Noch heute besucht Marshall regelmäßig seine Familie in Übersee. Sein Vater, der ab 1976 in Nürnberg stationiert war, ist inzwischen wieder in die USA zurückgekehrt und hat ein zweites Mal geheiratet. "Ich habe dort auch einige Polizisten in der Familie und deswegen kann ich mir ein Bild von der Situation in den USA machen", sagt Marshall.


Kommentar zum Tod von George Floyd: USA brauchen eine andere Polizei


Nach seiner Zeit bei der Polizei Nürnberg Mitte absolvierte er das Studium zur Aufnahme in den gehobenen Dienst. 2013 wurde er für mehrere Monate nach Afghanistan berufen, um dort Polizisten auszubilden. Heute ist er stellvertretender Dienstgruppenleiter am Flughafen Nürnberg und liebt seine Arbeit. "Es ist ein gutes Gefühl, wenn man den Familienurlaub rettet, weil man den verlorenen Reisepass ersetzen kann. Da kommt das Helfersyndrom raus", sagt Marshall.

Es komme auch immer wieder vor, dass Reisende aus dem Ausland ihn direkt ansprechen, in der Hoffnung, dass er ihnen besser helfen kann als ein weißer Polizist. "Wenn Flüge aus der Türkei ankommen, schicke ich Kollegen türkischer Herkunft, weil kleine Probleme gar nicht entstehen, wenn die Sprachbarriere wegfällt." Es sei praktisch, dass die Polizei am Flughafen eine bunte Truppe sei.

Vor jedem Satz überlegt der 40-Jährige ein bisschen und wählt seine Worte mit Bedacht. Er macht schnell klar, dass er trotz seines – noch – besonderen Status‘ als schwarzer Polizist in Deutschland nicht zwischen den Stühlen sitzt. Angesichts der Protestwelle seit dem Tod von George Floyd schwankt er nicht zwischen den Rollen des Schwarzen, der für Gerechtigkeit kämpfen muss, und dem beschuldigten Polizisten, sondern steht fest hinter der deutschen Polizei. "Wir führen in der Dienstgruppe seit Floyds Tod ständig Diskussionen um das Thema, jeder Kollege hat verschiedene Videos der Festnahme angeschaut. Wir waren entsetzt und uns gleichzeitig einig, dass so etwas in Deutschland niemals möglich wäre", sagt Marshall.

Eine vorübergehende Fixierung auf dem Boden sei manchmal nicht vermeidbar, "aber es gibt ja schon in der Ausbildung extra Schulungen zur Gefahr des ,lagebedingten Erstickungstodes, und ein deutscher Polizist würde niemals acht Minuten auf den Hals eines Menschen drücken und noch dazu die Warnungen der Passanten ignorieren", sagt Marshall.

Er hofft auch auf einen Wandel in den USA. "Ein großer Teil der US-amerikanischen Polizisten sind Ex-Militärs. Es ist fraglich, ob diese nach neun Wochen Ausbildung verinnerlicht haben, dass sie nicht dem Feind gegenüberstehen, sondern einem Mitbürger. Außerdem ist dieser Bürger potenziell bewaffnet."

Mit der deutschen Polizei sei das nicht zu vergleichen. "Wir Dienstgruppenleiter haben zweieinhalb Ausbildungsjahre und zwei Probejahre Zeit zu beobachten, wer sich auffällig verhält. Und wenn einem eine rechte Gesinnung eines Kollegen auffällt, kann man sich an eine unabhängige Stelle wenden. Es wäre falsch zu sagen, dass es keine Rassisten bei der deutschen Polizei gibt, aber es gibt keinen strukturellen Rassismus", so Marshall.

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