Jamaika-Gespräche: "Wie wenn Igel sich lieb haben"

21.10.2017, 15:42 Uhr
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt (rechts) erwartet bei den Sondierungsgesprächen große Probleme, wenn es um das Thema Klimaschutz geht.

© Michael Kappeler/dpa Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt (rechts) erwartet bei den Sondierungsgesprächen große Probleme, wenn es um das Thema Klimaschutz geht.

"Solide Finanzen, keine Schulden, Steuerentlastung und ordentliche Zukunftsinvestitionen", nannte CSU-Chef Horst Seehofer am Samstag vor einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der engsten Unionsspitze in Berlin als zentrale Punkte. Die CSU will nun rasch auch über soziale Themen wie die Zukunft von Rente und Pflege reden.

"Ein bisschen ist es so, wie wenn Igel sich lieb haben. Man muss vorsichtig sein, sich rantasten. Aber wir kennen langsam die Stacheln der anderen", sagte der baden-württembergische FDP-Landeschef Michael Theuer am Rande eines Treffens der Jungen Liberalen Baden-Württemberg am Samstag in Rastatt. "Das wird mit jedem Treffen ein bisschen vertrauter."

Theurer ist wie CDU-Landeschef Thomas Strobl aus Baden-Württemberg Teil der großen Sondierungsrunde mit Vertretern aller potenziellen Koalitionspartner,die sich am Freitag erstmals in Berlin getroffen hatte.

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Strobl zeigte sich nach dem Auftakt guten Mutes. Zwar stünden "harte und intensive" Wochen bevor. "Aber ich habe auch einen Optimismus, dass wir zu einem Ergebnis kommen werden", sagte Strobl, der Verhandlungsführer der CDU für die Themen Wirtschaft und Digitalisierung ist. Es habe sich bei dem Gespräch "nichts ergeben, was ein Zusammenkommen unmöglich macht".

Probleme beim Thema Klimaschautz

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte in einem Video, das ihre Partei online stellte, die Jamaika-Parteien könnten einen Schwerpunkt aufs Soziale legen. Dabei habe es "eine relativ breite Zustimmung" gegeben. Große Probleme erwarte sie beim Klimaschutz.

DGB-Chef Reiner Hoffmann sagte dem Tagesspiegel (Sonntag): "Ich hoffe nicht, dass eine Koalition für Besserverdienende entsteht." Wenn man wirksame Antworten auf die Rechtspopulisten geben wolle, sei "Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen oberstes Gebot".

FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff machte in der Passauer Neuen Presse (Samstag) deutlich, dass die FDP keine Eile habe. Parteichef Christian Lindner hatte der dpa am Freitagabend nach Ende ersten Sondierung in großer Runde gesagt: "Man musste zwischen den Zeilen lesen, um für die vertieften Debatten neue Ideen zu gewinnen. Aber immerhin ist nun der Klärungsprozess in Gang gekommen, der jetzt Tempo aufnehmen darf."

Die Jamaika-Unterhändler wollen in der Sondierung Einzelthemen so detailliert bearbeiten, dass die eigentlichen Koalitionsgespräche bis hin zu einem Regierungsvertrag der vier Parteien nach Möglichkeit nicht mehr scheitern können. Am kommenden Dienstag sind die sensiblen Themen Steuern und Finanzen sowie Europa aufgerufen.

Dobrindt: "Steuererhöhungen wird es nicht geben"

Seehofer sagte auf die Frage, ob die Grünen anders als 2013 angedeutet hätten, auf Steuererhöhungen verzichten zu wollen: "Die Arie von der großen Steuererhöhung habe ich gestern nicht gehört." Bei der von der Union angestrebten "Gigabit-Gesellschaft" mit superschnellem Internet "brauchen wir sicher mindestens zweistellige Milliardenbeträge". CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte an die Adresse der Grünen: "Steuererhöhungen wird es nicht geben." Nach Angaben von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, der Mitglied im CSU-Sondierungsteam ist, will die Union rasch auch über soziale Themen wie Rente und Pflege reden.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber kündigte auf Youtube an, die Union wolle bei den zwölf Jamaika-Themenblöcken "Anfang November ungefähr wissen, wo wir stehen, um dann in eine zweite Runde zu gehen".

Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther richtete im Magazin Der Spiegel ein Signal an FDP und Grüne, indem er sich für ein "modernes Einwanderungsrecht" stark machte. "Menschen kommen auf der Suche nach Arbeit als Flüchtlinge und bleiben zum Teil jahrelang im Asylsystem hängen", sagte Günther, der in seinem Land eine Jamaika-Koalition führt. Viele Asylsuchende dürften auch dann nicht bleiben, wenn sie dank ihrer Qualifikation hierzulande gebraucht würden, beklagte er. Das weist Parallelen zur Forderung der FDP auf, Flüchtlingen einen "Spurwechsel" zu ermöglichen und auf Grundlage eines Einwanderungsgesetzes hier bleiben zu können. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn forderte die Unionsparteien auf, das Vertrauen in Recht und Ordnung im Land zu stärken und damit den Wählerzulauf zur AfD zu stoppen.

Koalition "alles andere als sicher" - erhebliche Differenzen

Nach den Worten des schleswig-holsteinischen Umweltministers Robert Habeck (Grüne) offenbarte der Auftakt der Sondierungen erhebliche Differenzen etwa bei den Komplexen Asyl und Flucht, Finanzen und Europa sowie Klima und Agrar. "Es ist alles andere als sicher, dass das Ding gelingt", sagte er der dpa. Dennoch halte er einen Koalitionsvertrag bis Weihnachten für möglich. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter rief die Parteien bei der Funke Mediengruppe (Samstag) zur Kompromissbereitschaft auf. "Damit Sondierungen erfolgreich sind, müssen sich alle Parteien bewegen."

Die Erfahrung aus Baden-Württemberg, wo Grüne und CDU gemeinsam regieren, schätzt CDU-Landeschef Strobl dabei als hilfreich ein. "Wir hatten in Baden-Württemberg vor gut anderthalb Jahren auch eine schwierige Situation", sagte er. Nun habe das Land eine "stabile und verlässliche" Regierung. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist an den Sondierungen beteiligt.

An diesem Dienstag sollen zunächst die Schwerpunkt-Themen Haushalt, Steuern, Finanzen und Europa beraten werden. Anschließend soll es am Donnerstag um Klima, Umwelt, Energie, Bildung, Forschung und Digitales sowie das große Thema Flucht, Migration und Integration gehen. Dann sind Beratungen in kleinerem Kreis geplant. Die große Runde der mehr als 50 Unterhändler soll sich am 30. Oktober treffen. Am 1. und 2. November soll es Gespräche in kleinem Format geben.

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