Journalist lehnt sich gegen polnische Regierung auf

21.2.2020, 10:22 Uhr
Journalist lehnt sich gegen polnische Regierung auf

© Foto: Sandor Ujvari/dpa

Piątek hatte 2017 ein Buch über Verteidigungsminister Antoni Macierewicz veröffentlicht mit dem Titel "Macierewicz und seine Geheimnisse". Daraufhin forderte der Minister die Militärabteilung der Staatsanwaltschaft auf, gegen Piątek zu ermitteln wegen "Gewalt oder illegaler Drohungen" und "öffentlicher Beleidigungen" gegen eine "Verfassungsbehörde der Republik Polen". Wir sprachen mit dem Journalisten.

NN: Herr Piątek, sie werden von ihrem Verteidigungsminister eines "terroristischen Verbrechens" beschuldigt. Wie kam es dazu?

Piątek: Mein Buch enthält weder Gewalt noch Drohungen, sondern nur gründlich dokumentierte Fakten über die Verbindungen des Ministers zum Kreml. Dies schien paradox, weil Minister Macierewicz jahrelang vorgab, der größte Feind der Russen zu sein. Er war das Sprachrohr der Verschwörungstheorie zum Flugzeugabsturz 2010 in Smolensk in Russland, bei dem der damalige Präsident Lech Kaczynski und 95 weitere Menschen getötet wurden.

Diese Verschwörungstheorie war absurd. In vielerlei Hinsicht war es aber für Russland nützlich. Es half dem Kreml zu zeigen, dass die Polen verrückte Fremdenfeinde sind. Als andere Menschen in Polen die wirklichen Gefahren Russlands aufdeckten, wurden sie mit Minister Macierewicz und seiner Verschwörungstheorie in Verbindung gebracht.


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Als ich mein Buch veröffentlichte, begannen einige Leute jedoch zu verstehen, dass es eine Methode in diesem Wahnsinn gibt und warum er mich ins Gefängnis schicken wollte: um auch andere Journalisten zu erschrecken, damit nicht auch sie versuchen würden, seine Verbindungen zu Russland zu untersuchen.

Macierewicz hätte Sie vor einem Zivilgericht verklagen können. Dies wäre der normale Weg gewesen. Warum tat es das nicht?

Piątek: Mein Buch ist sehr gut dokumentiert. Er wollte nicht, dass es vor Gericht diskutiert wird, zum Beispiel all die Fälle, in denen er in all den Jahren russische Agenten befördert hat. In einem Strafgericht hätte er beweisen müssen, dass die Fakten in meinem Buch falsch sind. Stattdessen bezeichnete er mich lieber als Terroristen.

"Artikel voller Lügen"

Dieser Versuch hat aber nicht funktioniert.

Piątek: Er wurde wegen des Drucks unserer westlichen Verbündeten, insbesondere der Franzosen, als Minister entlassen. Dann schloss der Staatsanwalt den Fall. Im Gegenzug habe ich vor dem Strafgericht Klage gegen den Minister wegen Machtmissbrauchs eingereicht – was in Polen ein schweres Verbrechen ist.

Sie können dafür bis zu 14 Jahre ins Gefängnis gehen. Der Staatsanwalt wollte jedoch nicht ermitteln. Zweimal befahl das Gericht dem Staatsanwalt, den Vorwurf zu überprüfen. Als der Staatsanwalt zum dritten Mal ablehnte, legte ich erneut Berufung ein. Diesmal war es ein anderer Richter, und mein Fall wurde mit der Begründung abgewiesen, Macierewicz habe seine Anschuldigungen nicht auf einem Dokument seines Ministeriums, sondern auf einem normalen Blatt Papier eingereicht. Das ist natürlich absurd, und deshalb musste ich meinen Fall vor den Europäischen Gerichtshof in Straßburg bringen.

Die EU-Kommission, das Europäische Parlament und der Europäische Rat haben die polnische Regierung mehrfach dafür kritisiert, dass sie das Justizsystem unter Druck gesetzt hat. Wie sieht das im Alltag aus?

Piątek: Ich habe die Folgen mit eigenen Augen gesehen. Als mein Buch herauskam, veröffentlichte die rechte Zeitung Gazeta Polska – die von Minister Macierewicz gesponsert wurde, indem das Ministerium dort viel Werbung inserierte – einen Artikel voller Lügen über mich und mein Buch.

Sie zitierten nichts aus meinem Buch, um zu dokumentieren, was die angeblichen Lügen waren. Also habe ich die Zeitung verklagt. Sie hatten große Angst vor dieser Klage. Ihr Anwalt trat an mich heran, um eine außergerichtliche Einigung anzubieten. Plötzlich bat Macierewicz‘ Anwalt darum, dabei eingebunden zu werden, was sehr seltsam war, weil der Minister nicht Teil des Gerichtsverfahrens war.

Kurz danach stoppte die Zeitung ihren Antrag auf eine außergerichtliche Einigung. Eines Tages, als ich zu einer Anhörung kam, sagte die Richterin plötzlich, sie wolle gar keine. Stattdessen sagte sie abrupt, sie wolle ihre Entscheidung verkünden.

War sie eine der neu ernannten Richterinnen?

Piątek: Nein, sie hatte sogar mehrere Entscheidungen gegen die regierende PiS-Partei (Partei für Recht und Ordnung; Anm. d. Red.) getroffen. Jetzt drehte sie plötzlich ihren Mantel um und lehnte meine Klage ab. Sie argumentierte, dass die Zeitung das Recht habe, alles zu veröffentlichen, was sie will. Sie sagte sogar, wenn Sie ein Buch schreiben und in Frieden leben wollen, sollten Sie über rosa Teddybären schreiben. Es ist unglaublich.


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Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat jüngst beschlossen, Polen unter Überwachung zu stellen. Es ist das erste Mal seit über zwei Jahrzehnten, dass dieser Schritt gegen einen EU-Mitgliedstaat unternommen wird. Wie finden Sie das?

Piątek: Das ist sehr gut! Ich glaube aber auch, dass es spät ist, sehr spät. Die PiS-Partei handelt sehr schnell. Im Parlament entscheiden sie häufig innerhalb von 24 Stunden, auch mitten in der Nacht, über wichtige Themen. Deshalb nennen viele in Polen sie Fledermäuse, weil Fledermäuse auch nachts fliegen.

Ich denke, die EU sollte dies sehr ernst nehmen. Wenn die Rechtsstaatlichkeit in einem Land zerstört wird, ist dies ein sehr schlechtes Beispiel für andere Länder. Auch europäische Steuerzahler sollten besorgt sein. Polen erhält viel Geld aus Brüssel, und ich verstehe nicht, warum demokratische Länder die Zerstörung der Demokratie finanzieren sollten.

"PiS hasst Obama"

Wie würden Sie die Situation der Medien in Polen beschreiben?

Piątek: Die PiS-Partei beschuldigt viele Medien, Agenten des Auslandes zu sein, Agenten der Feinde. Wenn sie Feinde sagen, meinen sie meistens Deutschland. Das ist absurd, weil die Medien in unserem Land großteils in polnischer Hand sind. Polnische Medien, die deutsche Eigentürmer haben, sind in keiner Weise anti-polnisch, nicht einmal anti-PiS.

Zum Beispiel die Zeitung Fakt, die dem Axel Springer Verlag gehört. Vor ein paar Jahren war das Blatt kritisch gegenüber PiS, aber vor einem Jahr stellte Fakt einen Chefredakteur ein, der für PiS ist. Die Regierungspartei droht manchmal damit, die Medien zu repolonisieren. Jarosław Kaczyński, der immer noch Chef von PiS ist, weiß, dass ausländische Eigentümer unabhängiger sein könnten als polnische Eigentümer. Und Kaczyński hat ein großes Problem: Der größte Fernsehsender, TVN24, wurde von Amerikanern gekauft.

Journalist lehnt sich gegen polnische Regierung auf

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PiS ist nicht wirklich proamerikanisch. Sie geben nur vor, das zu sein, aber sie sind lediglich für (US-Präsident Donald) Trump. Sie hassen (den ehemaligen US-Präsidenten Barack) Obama, sie hassen die Linke. Aber selbst Trump machte, soweit wir wissen, Druck, die Fernsehmedien nicht zu repolonisieren.

Welche anderen Instrumente hat die Regierung, um die Medien zu beeinflussen?

Piątek: Sie hat viele Instrumente. Meistens benutzen sie Klagen vor Gericht. Zum Beispiel wurde Gazeta Wyborcza, für die ich arbeite, von PiS mit Tausenden von Klagen überzogen. Diese Klagen werden regelrecht geklont. Sie reichen nicht eine Klage pro Artikel ein, sondern zwei oder drei, manchmal sogar acht.

Es ist das, was die russischen Oligachen "Lawfare" nennen, eine Form der Kriegsführung durch Gesetze (englisch "law"; Anm. d. Red.). Es ist eine Methode, die von russischen Oligarchen angewendet wird, wenn sie einen Journalisten nicht töten wollen, sondern versuchen, ihn mit vielen Klagen zu überschwemmen. PiS macht das Gleiche.

Erweitern wir das Bild: Polen scheint politisch gespalten zu sein. Der westliche Teil ist proeuropäisch, der Osten ist fest in den Händen von PiS. Die großen Städte sind pro-westlich, die ländlichen Teile sehr konservativ. Sehen Sie dort Änderungen?

Piątek: Ich sehe, dass PiS auch im westlichen Teil an Boden gewinnt, wenn auch nur schleppend. Viele Menschen sind der Meinung, dass der PiS erstaunlich stark ist, und die EU nur langsam reagiert.

"Ähnlich wie Hitler-Deutschland"

Klingt so, als würden Sie hoffen, dass die EU eine stärkere Haltung einnimmt.

Piątek: Was derzeit passiert, ist beängstigend. Wir haben über unabhängige Medien gesprochen, aber wir sollten auch über Medien der Regierungspartei sprechen. PiS hat viele öffentliche Medien übernommen und hilft dabei, ihren Einfluss zu vergrößern. Diese Medien sind Instrumente der Lüge und des Hasses.


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Es wäre schwierig, alle Hasskampagnen der letzten fünf Jahre zu zählen. Es ist ähnlich wie in Putins Russland und sogar in Hitler-Deutschland. Während der Nazizeit schufen Städte "judenfreie Zonen". Nun forderte Gazeta Polska, die Zeitung, die ich verklagt habe, eine LGBT-freie Zone (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender).

Auch Richter werden im Fernsehen angegriffen.

Piątek: Ja, das polnische Staatsfernsehen hat eine Serie über Richter gestartet. Sie heißt "Kasta". Richter werden als eine Art feudale, antidemokratische Elite dargestellt, als Kaste. In diesem Programm und anderen Anti-Richter-Kampagnen werden Fälle gezeigt, in denen Richter falsch lagen, oder der Fall einer Richterin, bei der psychische Probleme diagnostiziert wurden und die etwas in einem Geschäft gestohlen hatte.

Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, dass alle Richter so sind und dass sie Feinde des Volkes sind. Normalerweise ist das staatliche Fernsehen nicht beliebt. Viele Menschen wollen diese Propaganda nicht hören. Aber diese Serie ist sehr populär und wird in den sozialen Medien kommentiert. "Richter sollten getötet werden", "Wir müssen sie alle aufhängen", und so weiter. Es ist beängstigend. Es ist sehr gefährlich, wenn eine Regierung Menschen dazu bringt, die eigenen Richter töten zu wollen.

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