May nahm Abschied und Johnson das Brexit-Ruder

24.7.2019, 19:02 Uhr
May nahm Abschied und Johnson das Brexit-Ruder

© AFP

Selbst von den Bänken der Opposition erklang hohes Lob für ihr Pflichtbewusstsein, den Patriotismus und die Würde, die sie als zweite Premierministerin in der Geschichte des Königreiches bewiesen hatte. Völlig überraschend jedoch war für viele der Witz, die Schlagfertigkeit und die Ironie, die man in ihrer Amtszeit vermisste. Als ihr Jeremy Corbyn die krassen sozialen Folgen ihrer Politik vorrechnete, antwortete May dem selbst in seiner Partei stark umstrittenen Labour-Chef leichthin: "ich habe begriffen, wann es Zeit ist zurückzutreten. Vielleicht sollte er jetzt das gleiche tun."

Stürmisches Gelächter im Parlament

Doch die Stimmung im Parlament, in dem in den letzten Monaten oft genug die Fetzen flogen, glich diesmal bei Mays Abschied einermfröhlichen Leichenschmaus für die Regierungschefin, die hinfort als "ehrenwertes Mitglied für Maidenhead" auf den parlamentarischen Hinterbänken Platz nehmen wird. Das "ehrenwerte Mitglied für Uxbridge und South Ruislip" war nicht im Sitzungssaal, weil er sich auf den Einzug in die Downing Street 10 vorbereiten musste.

Doch Boris Johnson müssen dabei die Ohren geklungen haben, als Theresa May auf die Frage nach seiner Eignung als Nachfolger trocken sagte: "es befriedigt mich, mein Amt an jemand zu übergeben, mit dem ich im Kabinett zusammengearbeitet habe." In Erinnerung an die Intrigen und die Treulosigkeit Johnsons brach darauf im Parlament stürmisches Gelächter aus.

May nahm Abschied und Johnson das Brexit-Ruder

© Stefan Rousseau, dpa



Einen weiteren Seitenhieb gegen ihren Nachfolger leistete sich Theresa May mit der Bemerkung, dass es in der Politik nicht um "wortgewaltige Reden und Schlagzeilen in der Presse" geht, sondern um "reale Menschen und wir sollten das nie vergessen". Daran erinnerten viele Abgeordnete, als sie Mays bahnbrechende Erfolge bei der Bekämpfung moderner Sklaverei, häuslicher Gewalt und Maßnahmen bei der psychologischen Betreuung und dem Schutz der Kinder vor ungesunder Ernährung auflisteten, die in dem Chaos des Brexit untergingen.

Standing Ovations

Nachdem sie unter stehenden Beifall ihrer Fraktion und auch von einigen Abgeordneten auf den Oppositionsbänken das Parlament zum letzten Mal als Premierministerin verlassen hatte, verabschiedete sie sich in Begleitung ihres Mannes von dem Personal ihres Regierungssitzes und wünschte ihrem Nachfolge und seiner Regierung viel Glück: "Ihr Erfolg wird auch der Erfolg unseres Landes."

Eine kurze Fahrt von der Downing Street zum Buckingham-Palast war die letzte Amtshandlung der 13. Premierministerin in der Regierungszeit der Queen. Die Nummer 14 machte unmittelbar der Königin seine Aufwartung, die ihm die übliche Frage stellte, ob er für die Regierungsbildung eine Mehrheit im Parlament besitzt. Diese freilich besteht gerade nur aus zwei Abgeordneten und wie Theresa May ist Johnson neue Minderheitsregierung auf die Unterstützung der zehn Abgeordneten der nordirischen Protestanten angewiesen ist.

Womöglich machte sich die Queen, die sehr auf ihre Rolle als Herrscherin über das Vereinigte Königreich Sorgen über die scharfe Ablehnung Johnsons in Schottland, die dem Drang nach Unabhängigkeit in dem Landesteil nach einem harten Brexit wieder Auftrieb gibt. Doch nach dem traditionellen Handkuss, wurde Johnson der 55. Premierminister des Königreichs in der Geschichte dieses Amtes.
Klimaprotes
Für die königliche Visite hatte Johnson bei der in London herrschenden Gluthitze einen noblen dunklen Anzug angelegt, das Hemd in die Hose gestopft und sogar seinen blonden Wuschelkopf gezähmt. Die Fahrt zum Buckingham-Palast wurde kurz durch eine Kette von Klimaprotestlern aufgehalten. Johnson stieg allein vor seinem neuen Wohnsitz aus der Limousine. Er lebt mit seiner Frau in Scheidung und seine augenblickliche Freundin ist nach einem handfesten häuslichen Streit während der Wahlkampagne wohlweislich auf Tauchstation gegangen.

Vor der berühmten schwarzen Haustür hielt "Bojo" dann eine wundervoll wilde Rede, für die er ja gerühmt wird. Er spottete über die Schwarzseher, die den EU-Austritt als einziges Fiasko miesmachen. Der neue Premierminister ist jedoch felsenfest davon überzeugt, dass er bis zum 31. Oktober ein neues Abkommen erreichen kann, dass die enge wirtschaftliche Verbundenheit mit der EU fortsetzen wird. Sollte er dies jedoch nicht erreichen, so wäre Großbritannien auf einen harten Austritt wohl vorbereitet. Als Zeichen seines guten Willens, bekräftigte Johnson das Aufenthaltsrecht der in Großbritannien lebenden EU-Bürger, die hochwillkommen seien.

Nach "drei Jahren des Selbstzweifels" will Johnson endlich "den demokratischen Willen des Volkes" erfüllen und dem Königreich wieder auf die Sprünge helfen. "Niemand ist es in den letzten Jahrhunderten gelungen , den Mut, die Nervenstärke und die Ambitionen dieses Landes zu erschüttern," rief Johnson mit markiger Stimme um den Lärm der Demonstranten im Regierungsviertel zu übertönen. Und um seinen Nimbus der Liberalität und der sozialen Anteilnahme zu betonen, schüttete er dann ein Füllhorn von Verbesserungen der Infrastruktur und Steuerreformen aus.

Zwischen hartem und weichem Brexit

Das mag vielleicht der Grund gewesen sein, warum sein Nachbar in der Downing Street Nr. 11, der Finanzminister Philip Hamond vor der Amtsübernahme Johnsons zurücktrat. Er hatte in den letzten Tagen mehrfach davor gewarnt, dass die Haushaltsreserven von einem ungeregelten Brexit aufgefressen werden und kein Spielraum für Extraausgaben bestünde, die Johnson vorschwebe. Am gleichen Tag reichten auch zwei weitere Minister ihren Rücktritt ein, weil sie nicht unter Johnson dienen möchten.

Heute wird der neue Premierminister im Parlament sein Kabinett vorstellen, in dem harte Brexit Befürworter Schlüsselrollen erfüllen. Damit wird es für Johnson noch schwieriger bei seinen Parteifreunden, die für einen weichen Brexit eintreten oder sogar ein neues Referendum fordern, eine Mehrheit im Parlament für den Austritt auf Biegen und Brechen am 31. Oktober zu bekommen. Doch Details haben den manischen Optimisten noch nie von seinen Plänen abgehalten.

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