Experte: "Nationalismus in türkischer Community schon immer stark"

16.10.2019, 05:57 Uhr
Die Spieler der türkischen Fußball-Nationalmannschaft beim militärischen Gruß.

© Uncredited/AP/dpa Die Spieler der türkischen Fußball-Nationalmannschaft beim militärischen Gruß.

Die deutschen Nationalspieler Emre Can und Ilkay Gündogan versehen ein Foto, auf dem ein türkischer Spieler sein Tor gegen Albanien mit einem militärischen Gruß feiert und es den Soldaten widmet, die gerade in Syrien gegen Kurden kämpfen, mit einem "Like".

14 junge Fußballer der A-Jugend von Türkspor/Cagrispor tun es ihm gleich, posten nach dem Spiel gegen den VfL Nürnberg ein Gruppenfoto, auf dem sie salutieren. Und ein Fürther Stadtrat mit türkischen Wurzeln setzt mit Blick auf die Vorgänge in Nordsyrien einen nationalistisch geschwängerten Post ab.

Wieso das für viele irritierend ist, kann Christoph Herzog nicht recht nachvollziehen. "Das Erstaunliche daran ist für mich das Erstaunen darüber", sagt der Professor, der an der Uni Bamberg einen Lehrstuhl für Turkologie innehat. "Nationalismus war in der türkischen Community schon immer außergewöhnlich stark ausgeprägt", so der Wissenschaftler.

Das sei bei gut integrierten Türken oder solchen, die hier geboren und aufgewachsen sind, nicht anders. "Das hat durchaus ein wenig mit unserem Verständnis von Multikulti zu tun", erläutert Herzog. Es werde erwartet, das man sich hiesigen Normen und Gepflogenheiten unterwirft, zur Arbeit geht, in der Schule, im Verein und in der Nachbarschaft mitmacht – aber gleichzeitig darf und soll die nationale Identität bewahrt bleiben.

 

Betrachte man die Ergebnisse der letzten Parlamentswahlen in der Türkei, werde deutlich, dass Auslandstürken sogar oft noch nationalistischer eingestellt sind als solche, die in der Türkei leben. "Präsident Erdogans Partei, die AKP, ist dort unter die 50-Prozent-Marke gerutscht", erinnert der Turkologie-Professor, "während sie in Deutschland auf gut 60 Prozent der Stimmen kam. Unvorstellbar eigentlich", sagt er.


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Natürlich spielten der von Ankara verordnete Nationalismus und die Staatsmedien auch eine Rolle, aber nationalistisch angehauchte Facebook-Nachrichten allein darauf zurückzuführen, ist Herzog zu simpel. "Es ist ein komplexes Phänomen mit vielen Ebenen, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Fest steht aber: Türken sind traditionell sehr eng an ihren Staat gebunden."

In der Art, zu ihrer Nation und deren Idealen zu stehen, seien sie ähnlich veranlagt wie Katalanen, Iren oder Kurden, so der Wissenschaftler. Dies könne ein möglicher Grund dafür sein, dass Ankaras Feldzug in Nordsyrien nach der Lesart mancher Beobachter wenig kritisch reflektiert wird, meint Herzog.

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