Nürnberger Menschenrechtspreis: Mundaca und der Kampf ums Wasser

22.9.2019, 05:42 Uhr
Für seinen Kampf um den freien Zugang zu Wasser in Chile wird Rodrigo Mundaca mit dem Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis ausgezeichnet.

© Eduard Weigert Für seinen Kampf um den freien Zugang zu Wasser in Chile wird Rodrigo Mundaca mit dem Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis ausgezeichnet.

Herr Mundaca, hatten Sie von dem Preis, den Sie am Sonntag verliehen bekommen, schon einmal gehört?

Mundaca: Nein.

Sie haben sich aber doch gefreut darüber. War es Ihr erster Preis?

Mundaca: Natürlich habe ich mich gefreut. Aber das ist relativ. Mit relativ meine ich, dass es uns nicht um Ruhm und Ehre geht. Wir sind Kämpfer für die Sache.

Die Sache, der Kampf ums Wasser, gewinnt durch den Preis auf jeden Fall Aufmerksamkeit für das Thema.

Mundaca: Auf dem Weg nach Nürnberg habe ich am Frankfurter Flughafen die Nachricht erhalten, dass wir jetzt auch den Preis France Libertés der Danielle-Mitterrand-Stiftung bekommen. Natürlich werden diese beiden Preise aus Nürnberg und Paris dazu beitragen, den Kampf ums Wasser weltweit zu verstärken.


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Der Kampf ums Wasser ist für uns weit weg. Wir haben – noch – kein Wasserproblem. Warum müssen Sie um Wasser kämpfen?

Mundaca: Chile ist das einzige Land der Welt, wo auch die Quellen in privater Hand sind und zwar seit 1981 unter der Diktatur von Augusto Pinochet. Seit 1998 ist die Verteilung des Wassers ebenfalls privatisiert. Das bedeutet, dass das Wasser in Chile heute im Wesentlichen in der Hand von Großunternehmen aus vier Wirtschaftsbereichen ist. Das sind die Agrarindustrie, der Bergbau, die Wald- und die Elektrizitätswirtschaft.

Zu den großen Problemen zählt der Avocado-Anbau. Auch in Ihrer Heimatregion Petorca.

Mundaca: Petorca liegt im Zentrum Chiles. Auf 90 Prozent der kultivierten Flächen dort werden Avocados angebaut. Die Avocado ist eine tropische Frucht und braucht entsprechend enorme Mengen von Wasser. Das ist das Wasser, das jetzt den einfachen Leuten in der Region fehlt.

Was heißt das für die Menschen dort konkret?

Mundaca: In der Provinz leben etwa 70.000 Leute und 70 Prozent dieser Menschen bekommen Trinkwasser nur noch über Tanklaster. Hier wird jeden Tag das Menschenrecht auf Wasser verletzt. Es kommt natürlich auch zu einer enormen Migrationsbewegung. Die Regierung von Präsident Sebastián Piñera ist absolut auf neoliberaler Linie und steht vollkommen aufseiten der großen Wirtschaftsunternehmen. In der Regierung sitzen sogar Unternehmer, die in der Wasserwirtschaft tätig sind. Sie mischen sich in die öffentliche Debatte ein und verteidigen das Recht auf die Privatheit der Wasserversorgung.

Drei Millionen Chilenen in den ländlichen Regionen haben heute keinen Zugang zu Leitungswasser. Einige wichtige Regionen wie Atacama und auch die Hauptstadt Santiago sind zu Wassernotstandsregionen erklärt worden, Valparaiso sogar zur Katastrophenregion. Trotzdem wird an dem System der privaten Wasserwirtschaft nichts geändert.

Avocados sind bei Europäern beliebt, doch in vielen Anbauregionen richtet die anspruchsvolle Frucht langfristig großen Schaden an.

Avocados sind bei Europäern beliebt, doch in vielen Anbauregionen richtet die anspruchsvolle Frucht langfristig großen Schaden an. © JOSE CASTANARES / AFP

Ihr Protest richtet sich gegen die Politik und die Unternehmen. Auch gegen uns Europäer, die wir die Avocados konsumieren?

Mundaca: Wir haben nichts gegen die Avocados, aber gegen die Form, wie sie produziert werden: Monokultur, intensive und irrationale Nutzung des Wassers, übermäßiger Gebrauch von Agrarchemikalien. Wir sind für die Produktion von Avocados, wenn sie vernünftig und unter der Berücksichtigung von natürlichen Ressourcen passiert. Es geht um das grundsätzliche Modell der Agrarproduktion in Chile. Das ist natürlich auch ein politisches Problem.

Müssen Sie mit Ihrem Kampf nicht auch dort ansetzen, wo die Konsumenten sind?

Mundaca: Das ist eure Verantwortung. Man darf einfach keine Avocados essen, die unter solchen Bedingungen hergestellt werden. Man muss Transparenz über den gesamten Weg von der Produktion über die Verteilung bis hierher auf die Märkte herstellen.

Sie sind Agraringenieur, sind Sie selbst auch Avocadobauer?

Mundaca: Ich bin Dozent an der privaten Universität Santo Tomás, wo die Avocado zu meinen Lehrgebieten gehört. Ich bin also quasi Avocado-Professor.

Sie und Ihre Mitstreiter werden wegen Ihres Einsatzes immer wieder bedroht und angefeindet.

Mundaca: Um unsere Bewegung wurde eine ganze Reihe von falschen Bildern konstruiert. Es wird uns vorgeworfen, dass wir Ökoterroristen sind, dass wir die Wirtschaft kaputt machen. Wir müssen feststellen, dass es eine systematische Kriminalisierung aller Menschen gibt, die für den Erhalt der Umwelt kämpfen, so wie wir.

Sie wurden auch schon zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Was hat man Ihnen vorgeworfen?

Mundaca: Im Jahr 2012 habe ich dem Fernsehsender CNN ein Interview über die Wasser-Problematik gegeben. Ich wurde nach den Verantwortlichen gefragt und nannte einen Namen: Edmundo Pérez Yoma, Innenminister unter der Regierung von Michelle Bachelet. Er ist Großproduzent von Avocados, der Wasser geklaut hat.

Das hat mir ein Verfahren wegen Beleidigung eingebracht, obwohl ich Beweise vorlegen konnte. Ich wurde zu 345 Tagen Gefängnis verurteilt, die in Bewährung umgewandelt wurden. Ein Jahr lang musste ich mich jeden Monat bei der Polizei melden. Nach einer Reportage der Deutschen Welle über Petorca und die Avocados, wurden wir mit dem Tode bedroht.

 

Gibt es in Chile keine politische Bewegung oder Partei, die Ihre Ziele unterstützt?

Mundaca: Doch, es gab eine Präsidentschaftskandidatin bei der letzten Wahl, Beatriz Sánchez, die sich die Themen auf die Fahne geschrieben hat. Damit ist sie immerhin auf dem dritten Platz gelandet.

Kommt angesichts der Probleme in Ihrer Heimat nicht auch ein Umdenken in Gang, was Umweltbelange angeht?

Mundaca: Ja, das kann man schon sagen. Der Kampf um das Wasser ist in den letzten fünf bis sieben Jahren sehr verstärkt worden. Vorher hat sich kaum jemand darum gekümmert. Denn 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts hängen auf die eine oder andere Weise mit dem Wasser zusammen. Das heißt, die Wasserkämpfe greifen ganz tief in das Wirtschaftsmodell ein. Für Umweltschützer ist Lateinamerika heute die gefährlichste Region der Welt.

Wie sähe die richtige Kultivierung von Avocados aus?

Mundaca: 50 Prozent der kultivierten Flächen für Avocados befinden sich in Gebieten, die völlig ungeeignet für den Anbau sind. Es gibt keine Planung und keine Vorschriften, wie Land vernünftig genutzt werden kann. Es gibt keine Politik für die Bewahrung der Biodiversität, die Monokultur ist nach wie vor das Grundprinzip der Entwicklung, mit einem irrationalen Gebrauch von Land und Wasser und in der völligen Abhängigkeit von chemischen Mitteln. Es gibt sicherlich alternative Produktionsmöglichkeiten, die die Biodiversität und die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen und nicht davon ausgehen, dass die Agrarexportwirtschaft der Grundpfeiler unserer Ökonomie ist.

Jede Avocado, die ich hier esse, raubt Ihnen Wasser.

Mundaca: Absolut. In unserer Region braucht ein Avocadobaum 200 Liter Wasser täglich. Um ein Kilo Avocados zu produzieren, werden 400 bis 600 Liter Wasser verbraucht. Das entspricht dem Tagesbedarf von sechs Personen – in unserer Region.

Warum wird dann gerade dieser Agrarzweig so sehr forciert?

Mundaca: Die Regierung will, dass Chile eine Macht im Agrarsektor ist. Das bedeutet eine sehr starke Agrarindustrie. Auf der anderen Seite gibt es aber auch 42 000 bäuerliche Familien, die ein Drittel unserer Lebensmittel herstellen. Und die leiden unter dieser Politik.

Was wünschen Sie sich von uns Europäern?

Das Seltsame ist, dass die Europäer ja auch Besitzer von Wasser in Chile sind. Das größte Unternehmen ist in spanisch-französischer Hand. Meine Antwort auf die Frage, was die Europäer tun können, lautet: Hört auf, unser Wasser zu kontrollieren. Es geht nicht nur um den Verzehr von Avocados. Es geht darum, Strukturen aufzubrechen und einen kulturellen Wandel herbeizuführen. Was mir aber ganz wichtig ist: Wir sind nicht Opfer, wir sind Kämpfer. Wir werden so lange kämpfen, bis wir unser Ziel erreicht haben. Bis das Wasser entprivatisiert wird und wieder den Menschen zugutekommt.

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