Polen droht neuer Ärger wegen umstrittener Justizreform

5.8.2020, 19:59 Uhr
Über dem Haupteingang des Obersten Gerichts in Warschau hängt ein Banner mit der Aufschrift "Konsytucja" (Verfassung). Polen droht nun neuer Ärger wegen seiner umstrittenen Justizreform.

© Natalie Skrzypczak, dpa Über dem Haupteingang des Obersten Gerichts in Warschau hängt ein Banner mit der Aufschrift "Konsytucja" (Verfassung). Polen droht nun neuer Ärger wegen seiner umstrittenen Justizreform.

Polen droht neuer Ärger wegen seiner umstrittenen Justizreform. Wie ein Sprecher des Europäischen Gerichtshofes der Deutschen Presse-Agentur bestätigte, hat sich ein Amsterdamer Gericht mit brisanten Fragen zur Auslegung von EU-Recht an die höchsten europäischen Richter gewandt. Sie sollen entscheiden, ob grundsätzliche Zweifel an der Unabhängigkeit der polnischen Justiz ein allgemeines Vollstreckungsverbot für Europäische Haftbefehle aus Polen rechtfertigen könnten.

Unabhängigkeit der Justiz nicht gegeben

"Seit 2007 steht die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte und dadurch das Recht auf einen ehrlichen Prozess immer stärker unter Druck", teilte das Amsterdamer Gericht zu seinem sogenannten Vorabentscheidungsersuchen mit. Die Entwicklungen in den vergangenen Jahren wirkten sich so stark auf die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte aus, dass diese nicht mehr unabhängig von der polnischen Regierung und dem polnischen Parlament sein könnten.

Wann der EuGH ein Urteil in der Sache sprechen wird, ist nach Angaben des Sprechers noch unklar. Das Amsterdamer Gericht hat allerdings gebeten, seine Fragen als dringlich zu bewerten. Dies könnte bedeuten, dass es bereits in wenigen Monaten eine Entscheidung gibt.

Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte der Deutschen Presse-Agentur am Mittwochabend, der Fall werfe bedeutende Fragen im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit der Justiz in Polen und der Vollstreckung europäischer Haftbefehle auf. Wie bei Vorabentscheidungsersuchen üblich, beabsichtige die Kommission sich mit einer Stellungnahme an dem Verfahren zu beteiligen.

Nicht mit EU-Recht vereinbar

Als "Hüterin der EU-Verträge" geht die Kommission bereits seit mehreren Jahren gegen die Justizreform in Polen vor - sie hat auch bereits mehrfach den EuGH wegen Teilen der Reform angerufen. Dieser hatte in Folge unter anderem entschieden, dass die Herabsetzung des Pensionsalters der Richter am Obersten Gericht in Polen nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist und gegen den Grundsatz der Unabsetzbarkeit von Richtern und damit gegen die Unabhängigkeit der Justiz verstößt.

Konkret will das Amsterdamer Gericht unter anderem wissen, ob ein Haftbefehl schon dann nicht ausgeführt werden kann, wenn gerichtlich festgestellt wurde, dass grundsätzlich eine "reelle Gefahr" eines unfairen Verfahrens besteht, weil die polnischen Gerichte "aufgrund struktureller und grundlegender Mängel nicht mehr unabhängig sind". Bislang ist es eigentlich so, dass im Einzelfall geprüft werden musste, ob sich Mängel auf das konkrete Verfahren des Betroffenen auswirken könnten.

So hatte der EuGH bereits im Juli 2018 geurteilt, dass die umstrittene Justizreform dazu führen kann, dass Behörden anderer EU-Länder Europäische Haftbefehle aus Polen künftig nicht vollstrecken dürfen (Rechtssache C-216/18 PPU). Allerdings wurden dazu auch Hürden aufgebaut.

Kein faires Verfahren

Um die Vollstreckung des Haftbefehls ablehnen zu können, müssen die Behörden diesem Urteil zufolge zunächst einmal geklärt haben, ob wegen systematischer oder allgemeiner Mängel im Justizsystem eine Gefahr für das Grundrecht auf ein faires Verfahren besteht. Anschließend ist dann aber auch noch zu prüfen, ob sich festgestellte Mängel im konkreten Fall auf das Verfahren des Betroffenen auswirken könnten. Dazu muss zum Beispiel untersucht werden, ob die Unzulänglichkeiten im Justizsystem auch auf jene Gerichte zutreffen, die sich mit dem Fall befassen würden.

Hintergrund des Urteils war damals der Fall eines in Irland verhafteten Polen, der sich gegen seine Auslieferung an die polnischen Behörden wehrte. Der wegen Drogenhandels verfolgte Mann argumentierte, wegen der Reform des polnischen Justizsystems bestehe die echte Gefahr, dass er in Polen kein faires Verfahren erhalte. Er stützte sich dabei unter anderem auf die Position der EU-Kommission, die der Ansicht ist, dass die Reform die Gewaltenteilung gefährden und die Unabhängigkeit von Gerichten einschränken. Letztendlich entschieden sich die Iren aber doch für eine Auslieferung.

In einer Reaktion auf das Anliegen der Amsterdamer Richter verwies Polens stellvertretender Justizminister Michal Wojcik auf diesen Fall. "Am Ende hat Irland den Verdächtigen an Polen ausgeliefert, und das EuGH hat sehr genau den Weg aufgezeichnet, was (...) zu tun ist, wenn jemand die Frage der Unabhängigkeit der Gerichte untersucht. Die niederländischen Richter sollten genau auf diesem Pfad gehen."


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Bereits im Februar dieses Jahres hatte allerdings zum Beispiel auch das Oberlandesgericht Karlsruhe den Haftbefehl gegen einen Verdächtigen aus Polen aufgehoben, weil es Zweifel an der Wahrung eines fairen Verfahrens in dessen Heimatland hatte. Eine endgültige Entscheidung über die Zulässigkeit der gewünschten Auslieferung werde allerdings erst erfolgen, nachdem die polnischen Behörden Gelegenheit zur Beantwortung der Anfrage des Senats hatten, hieß es damals vom Gericht.

In dem konkreten niederländischen Fall geht es nun um einen Polen, der aus den Niederlanden rund 200 Kilogramm sowohl harter als auch weicher Drogen in sein Heimatland geschmuggelt haben soll. Gegen ihn liegt bereits seit 2015 ein Haftbefehl des Bezirksgerichts in Posen vor.

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