Quelle profitierte von den Nazis

23.7.2009, 00:00 Uhr
Quelle profitierte von den Nazis

© aus dem Buch

Was das Berliner Magazin Cicero nun mit etwas reißerischer Aufmachung verkündet - Schickedanz sei tiefer ins NS-Regime verstrickt gewesen als bisher bekannt -, das ist im Kern nichts Neues. Vor allem die Nürnberger Historiker Eckart Dietzfelbinger vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände und Peter Zinke setzten nach Sichtung der Spruchkammerakten (sie protokollieren die Anhörungen während der Entnazifizierung) jenes Puzzle zusammen, das die gut funktionierende Kooperation zwischen Nationalsozialisten und Schickedanz belegt.

Opportunistisch und konform

Dessen 1927 gegründete Quelle war bei der Machtergreifung der NSDAP schon lange kein kleines Unternehmen mehr. Und es wuchs erheblich durch die «Arisierung« – die erzwungene, als «freiwillig« dargestellte Enteignung jüdischen Besitzes. Gustav Schickedanz war schon am 1. November 1932, also vor Hitlers «Machtergreifung«, Mitglied der NSDAP geworden, saß für sie später im Stadtrat von Fürth. «Ein strammer Parteisoldat war der Quelle-Chef nicht«, schreibt Dietzfelbinger - aber er verhielt sich «vorausschauend opportunistisch« und durchaus konform mit den Machthabern.

«Im NSDAP-Gau Franken nahm die Enteignung unter dem Kommando des Gauleiters Julius Streicher die extremsten Formen an; er war hier die Schlüsselfigur«, so Dietzfelbinger. Und Schickedanz hatte zur Gauleitung beste Beziehungen, er war, wie später die Göring-Kommission in ihrem Bericht über die «Arisierung« in Franken feststellte, ein «Günstling der Gauleitung«. «Mit Hilfe dieser Machtinstanz wird auf die (meist) jüdischen Besitzer von lukrativen Immobilien Druck ausgeübt, der bis zur Inhaftierung und angedrohten Einweisung in ein KZ reicht. Die Drohungen führen dazu, dass die Haus- oder Fabrikbesitzer zum Verkauf genötigt werden«, bilanziert Peter Zinke in seinem Aufsatz «Er drohte wieder mit der Gauleitung« - Gustav Schickedanz und die ,Arisierungen’«.

Stattliche Liegenschaften

Zehn Vermögenswerte, die so den Besitzer wechselten, listet Dietzfelbinger auf. Der größte Brocken sind neben stattlichen, teils heute noch von der Quelle genutzten Liegenschaften in Fürth die Vereinigten Papierwerke in Heroldsberg. «Die Firma florierte und war für die Nationalsozialisten ein begehrenswertes Objekt« - auch, weil ihre Inhaber Juden waren, die Brüder Oskar und Emil Rosenfelder. Sie hatten die renommierten Marken «Camelia« (Damenbinden) und vor allem das legendäre «Tempo«-Taschentuch etabliert.

Begleitet von einer publizistischen Kampagne in Streichers berüchtigtem Hetzblatt Stürmer gegen die «Camelia-Juden«, starteten die Nazis 1933 ihre Enteignungs-Aktion - mit allen Tricks, Finten und brutalem Druck. Zunächst erpresste die SA Geld von den Rosenfelders. Dann gab es ein Ermittlungsverfahren gegen die Brüder, die angesichts des Justiz-Terrors nach England flohen. Die Folgen: Haftbefehle der Nazis gegen sie, Beschlagnahmung ihres inländischen Vermögens, später folgt die Aberkennung der Staatsbürgerschaft.

Billige Aktien

Schickedanz konnte die Aktien der Papierwerke zu einem Bruchteil des tatsächlichen Wertes erwerben. Ein Verfahren, das sich bei den anderen «Arisierungen« ähnlich wiederholte: Druck auf die Eigentümer, die bewusst (viel zu) niedrige Einschätzung ihres enteigneten Vermögens - und dessen sehr günstiger Aufkauf durch Schickedanz. «Außer Frage« stehe, schreibt der Erlanger Historiker Gregor Schöllgen, dass er «von den neuen politischen Verhältnissen profitiert. Mitte der dreißiger Jahre kann er sich in den Besitz einiger Firmen bringen, die damals unter anderen Umständen kaum zum Verkauf gestanden hätten« - eine sehr behutsame Umschreibung des Drucks, den die Nazis auf später «arisierten« jüdischen Besitz gemacht hatten.

Zweifelhafte Reinwaschung

Schöllgen, der an einer Schickedanz-Biografie arbeitet und vom Hause Schickedanz unterstützt wird, schreibt dann mit Blick auf die Ergebnisse der Entnazifizierung, es gebe kaum «einen zweiten Fall dieser Prominenz«, der «so eindeutig rehabilitiert worden ist wie Gustav Schickedanz«. In der Tat wurde ihm von der Spruchkammer, die ihn als «Mitläufer« einstufte und zu 2000 Mark Geldbuße verurteilte, sogar zugeschrieben, er sei «ein unbeugsamer Gegner und Kämpfer gegen den Nationalsozialismus« gewesen. Dietzfelbinger und Zinke nehmen solche Aussagen der Kammer aber nicht 1:1 wie Schöllgen, sondern ordnen sie ein in den zeitgeschichtlichen Kontext der Nachkriegszeit. Zinke schreibt über die Spruchkammern: «Diese, auch als ,Mitläuferfabriken’ bezeichneten Instanzen, hatten vor allem die Funktion, Schickedanz, wie auch viele andere in seiner Position, ,weißzuwaschen‘, da er zu Beginn des Wirtschaftswunders als unverzichtbarer Faktor galt.«

Dietzfelbinger spricht von «zwei anormalen Normalitäten«: der einträglichen «Arisierung« unter den Nazis und der «Mitläuferfabrik« nach Kriegsende, die beide auf einem gesellschaftlichen Konsens beruhten. Schickedanz, der nach 1945 in allen Fällen «seiner« Enteignungen Restitutionszahlungen an die Geschädigten leistete und sich mit zahlreichen Spenden in und für Fürth engagierte, bleibe «wegen seines Verhaltens in der NS-Zeit dennoch eine historisch belastete Persönlichkeit«.