Schmidt über Bauernproteste: "Habe großes Verständnis dafür"

16.1.2020, 06:00 Uhr
Seit Wochen gehen Bauern quer durch Deutschland auf die Straße.

© Stefan Sauer Seit Wochen gehen Bauern quer durch Deutschland auf die Straße.

Herr Schmidt, die Bauern fühlen sich als Sündenböcke der Gesellschaft, klagen über überbordende Vorschriften und zunehmende Auflagen. Warum sollte man sich in so einer Situation noch dazu entscheiden, Landwirt zu werden oder den Hof der Eltern zu übernehmen?

Schmidt: Weil die Gesellschaft nicht ohne Landwirtschaft auskommt. Ich möchte keine Agrarindustrie, sondern, dass der Bauer in der Region eine Zukunft hat.


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Ja, aber dass die Gesellschaft sie grundsätzlich braucht, wird keinen jungen Menschen davon überzeugen, Landwirt zu werden. Bauern brauchen auch Wertschätzung, sowohl gesellschaftlich als auch natürlich finanziell.

Schmidt: Ich habe den Eindruck, dass wir jetzt an einem Punkt sind, an dem es wieder etwas aufwärts geht mit dem Verständnis für die Landwirtschaft. Wir können nicht einerseits für den Kampf gegen den Klimawandel und für ortsnahe Produktion sein und uns andererseits nicht für den Bauern ums Eck interessieren.

Ex-Bundeslandwirtschaftminister Christian Schmidt im Interview über die aktuelle Situation in der Landwirtschaft.

Ex-Bundeslandwirtschaftminister Christian Schmidt im Interview über die aktuelle Situation in der Landwirtschaft. © Foto: privat

Bleibt das Finanzielle. Hochwertige Lebensmittel sind in den Supermärkten oft billig zu haben. Immer neue Vorschriften belasten zugleich vor allem die kleineren und mittleren Betriebe. Wie kann man verhindern, dass bald nur noch Großbetriebe diese Entwicklungen überleben?

Schmidt: Wenn wir nur noch 1000-Hektar-Betriebe haben, sind Landschaft und Landwirtschaft nicht mehr im Einklang. Man muss bei der europäischen Förderung vor allem die kleinen und mittleren Betriebe bedenken und die Förderung nach oben begrenzen. Zu den Supermärkten: Auch bei konventionell erzeugten Lebensmitteln müssten manche Preise noch höher sein, denn es sind hochwertige, aufwändig erzeugte Produkte. In der Verantwortung ist da vor allem der Lebensmitteleinzelhandel, der momentan noch Wettbewerb über den Preis führt, nicht über die Qualität.

Schmidt hat großes Verständnis für Bauern

Die Landwirte machen zunehmend lautstark und öffentlichkeitswirksam auf ihre Probleme aufmerksam. Wie groß ist ihr Verständnis für den Unmut unter den Bauern?

Schmidt: Sehr groß. Sie haben das Gefühl, dass sie für alles Elend dieser Welt haftbar gemacht werden und als Sündenböcke herhalten müssen. Wir müssen die Landwirtschaft wieder in die Mitte der Gesellschaft bringen, mehr miteinander reden. Deshalb ist es gut, wenn die Landwirte mit den Protesten jetzt in die Städte reingehen. Sie signalisieren damit, dass sie da sind und darauf warten, dass man mit ihnen redet.

Weite Teile der Bevölkerung haben sich zunehmend von der Landwirtschaft entfremdet, der Trend zur Verstädterung verstärkt das zusätzlich. Wie könnte man eine Wiederannäherung erreichen?

Schmidt: Man muss der Bevölkerung klarmachen, dass Bauern nicht nur einen Hahn aufdrehen und dann kommen Getreide und Gemüse raus. Sie müssen das ganze Jahr hart dafür arbeiten. Info-Filme wären für die Aufklärung wohl kein Kino-Knüller. Aber bei Aktionen wie einem "Tag des offenes Hofes" kommen viele direkt vor Ort in Kontakt mit der Landwirtschaft. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Sportvereine Partnerschaften mit landwirtschaftlichen Betrieben eingehen. Jugendliche könnten dann ein paar Tage im Jahr mithelfen, Einblicke gewinnen und dafür mit Naturalien belohnt werden.

Die Landwirtschaft muss sich aber auch verändern, bereit sein, auf neue Erkenntnisse, aber auch auf veränderte Ansprüche der Gesellschaft zu reagieren. Geschieht das noch zu wenig?

Schmidt: Ich nenne das immer das "Prallteller-Syndrom". Früher hat man die Gülle auf diesen Prallteller gespritzt, damit sie im weiten Bogen verteilt wurde. Berichte über die Landwirtschaft werden oft immer noch so bebildert. Für viele liefert dieses Gülleverspritzen ein abschreckendes Bild von der Landwirtschaft. Tatsächlich sind die Prallteller mittlerweile verboten und die Gülle wird mit Schleppschuh oder Schleppschlauch nah am Boden ausgebracht. Was ich damit sagen will: Die Landwirtschaft verändert sich ständig – aber die Gesellschaft ist nicht bereit, das auch wahrzunehmen.

Schmidt: Regelungen erst einmal wirken lassen

Die Landwirte beklagen sich über die zunehmenden Vorschriften und Auflagen. Die erst 2017 verschärfte Düngeverordnung zum Beispiel soll nun schon wieder um weitere Vorgaben ergänzt werden.

Schmidt: Die Bauern wollen Lebensmittel produzieren und nicht den ganzen Tag am Schreibtisch verbringen. Bei der Düngeverordnung wäre es gut, wenn man die seit zwei Jahren gültige, von mir eingeführte Regelung erst einmal wirken lässt und schaut, was sie für Grundwasser und Pflanzen bringt, bevor man sie weiter verschärft. Die Vorschriften sind tatsächlich teilweise zu sehr ins Kraut geschossen. Oft ist es sinnvoller, finanzielle Anreize zu setzen und den Landwirten die Entscheidung selbst zu überlassen, als gleich überall Ordnungsrecht anzuwenden.

Die Landwirte kritisieren das Nitrat-Messstellensystem und bezweifeln, dass es wirklich objektive Ergebnisse liefert. Inwiefern teilen Sie diese Zweifel?

Schmidt: In der Tat gibt es da ein großes Fragezeichen. In Deutschland haben wir vor Jahrzehnten ein Messstellensystem eingeführt, das an den gefährdeten Punkten gemessen hat. Deshalb gibt es auch relativ wenige Messstellen. Ob wirklich der ganze Umkreis so stark belastet ist wie eine bestimmte Messstelle, können wir nur durch neue Messstellen herausfinden. Bereits 2016 habe ich mit Umweltministerium und den Bundesländern das kleine Belastungsmessstellennetz von 1996 in ein verbessertes, um das Vierfache erweitertes Messstellennetz umgewandelt. Dennoch kann auch das noch erweitert werden. Wenn dann aber herauskommt, dass auch dort der Grenzwert überschritten wird, muss das an dieser Stelle auch Konsequenzen haben für die Landwirtschaft.

Sie haben 2017 einer Verlängerung der Zulassung des Herbizids Glyphosat zugestimmt. Wie wichtig ist auch zukünftig der Einsatz von Chemie, um eine leistungsfähige Landwirtschaft zu erhalten?

Schmidt: Wenn man die Menschen fragt, ob sie Pflanzenschutzmittel wollen, sagen 100 Prozent ’nein’. Wenn Sie dieselben Verbraucher fragen, ob sie mehr Geld für Äpfel ohne Hochglanz und braunen Blumenkohl zahlen würden, sagen auch alle ’nein’. Der Einsatz von Glyphosat wurde in meiner Amtszeit auch durch von mir verschärfte Anwendungsvorschriften massiv reduziert. Für die Zukunft brauchen wir Präzisionslandwirtschaft, die solche Mittel gezielt zur Pflanze bringt. Bei Öko-Landbau brauchen wir für denselben Ertrag momentan eineinhalb mal die Fläche. Wenn wir heute komplett auf Chemie verzichten würden, würden wir in vielen Bereichen zum Importland werden – in anderen Ländern haben wir aber keinen Einfluss auf die Produktionsbedingungen.

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