Suche nach Spiritualität

9.4.2005, 00:00 Uhr

Bernhard Grom ist Jesuitenpater und Professor für Religionspsychologie an der von seinem Orden getragenen Münchner Hochschule für Philosophie. Mit einer einzigen Antwort, sagt er, ist das in Rom zu bestaunende Phänomen nicht zu erklären. „Da spielt vieles eine Rolle.“ Zum einen, so ist er überzeugt, war der Pilgerstrom der Millionen so etwas wie die Schlussinszenierung der Geschichte um eine „große Figur unseres Medienzeitalters“. Johannes Paul II., das war laut Grom jemand, „bei dem die Medienverantwortlichen schnell merkten, dass er herausragte aus dem gewöhnlichen Unterhaltungsbetrieb“. Eine Persönlichkeit mit Eventqualitäten. In einer Reihe nicht nur mit anderen charismatischen Religionsführern wie etwa dem Dalai Lama steht ein solcher Papst dann. „Ähnlich berührt hat die Menschen beispielsweise Lady Di.“

„Lautere Menschlichkeit“

Bernhard Grom blickt in der nüchtern-intellektuellen Art der Jesuiten auf das Popstar-Phänomen Johannes Paul II. Nicht ohne auch daran zu glauben, dass dieser Papst über seinen Tod hinaus wirken wird. „Ähnlich wie Mutter Teresa.“ Als „Repräsentant lauterer Menschlichkeit“, der gezeigt habe, dass mehr zählt als Konsum. „Das hat die Menschen angerührt. Sie sind schließlich immer auf der Suche nach einem Anwalt.“

Als Ausdruck einer Renaissance ursprünglicher Frömmigkeit sieht der Religionspsychologe die Trauerwallfahrt der vier Millionen dagegen nicht. Vor allem die meisten jungen Menschen praktizierten „eine sehr unverbindliche, selektive Religiosität“. Sie feiern Johannes Paul II. als großen Mitstreiter für Frieden und Menschenrechte, „auch wenn sie mit seinen Vorstellungen zur Sexualmoral ganz und gar nicht einverstanden waren“. Sie setzen sich ein eigenes Glaubensbekenntnis zusammen. Manch junger Katholik ist in seinem Religionsverständnis weit entfernt von dem seines Idols Johannes Paul II.

Nur Gutes

„De mortuis nihil nisi bene.“ Über die Toten nur Gutes reden. Andrea Abele-Brehm, Erlanger Professorin für Sozialpsychologie, glaubt, dass der Tod des Papstes die Menschen alles Trennende und allen Streit hat vergessen lassen. Möglich ist das ihrer Ansicht nach allerdings nur, weil Johannes Paul II. auch von seinen Kritikern und von nicht religiösen Menschen als faszinierende Persönlichkeit wahrgenommen worden sei. „Er hat, das haben alle gesehen, nach seiner Religion gelebt. Er war damit absolut authentisch.“

Dass in Rom Millionen Gläubige hautnah das Gefühl erleben wollten: „Wir gehören zusammen“, dass sie den Abschied vom Papst „feiern und zelebrieren“, drückt nach Überzeugung der Wissenschaftlerin aber auch „das große Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität“ aus. Eine Sehnsucht, die in unserer modernen Welt nicht leicht gestillt werden kann. „Vor allem nicht in Deutschland“, meint Andrea Abele-Brehm. Eine sehr kritische Haltung gegenüber Religion herrsche hier im Land. Und ein protestantisch geprägter Geist, der bewusst auf üppige Bilder, Inszenierungen und Gefühle verzichtet. Wenn die katholische Kirche anlässlich eines PapstTodes genau in diesen Emotionen schwelgt, „dann empfinden die Menschen das einfach als schön. Dann gefällt ihnen das.“

Viele andere Dinge kommen hinzu. Gerade im Zeitalter ubiquitärer Medienpräsenz, die es den Menschen ermöglicht, vor dem Fernsehgerät zu Hause an fast allen Großereignissen teilzunehmen, macht sich vielleicht allmählich Hunger nach Authentizität breit. Einmal selbst dabei sein. Zeuge einer historischen Stunde werden - auch wenn man im Gedränge von Millionen nicht viel mehr als Gedränge erlebt.

Und auch ganz banale, der Psychologie seit langem vertraute Phänomene stecken hinter der Massenwallfahrt Richtung Petersplatz. Andrea Abele-Brehm: „Zum Beispiel das Prinzip der Ansteckung: Wenn die hingehen, gehe ich auch hin.“ Und wieder sind es dabei die Medien, die dafür sorgen, dass die Lawine ins Rollen kommt.