Touristen fliehen aus Tunesien

15.1.2011, 12:23 Uhr
Touristen fliehen aus Tunesien

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Müde und erleichtert kamen die ersten Touristen am Freitagabend an den Flughäfen in Düsseldorf und Berlin an. Manchen stand der Schock ins Gesicht geschrieben. «Ich bin froh, dass ich daheim bin. Nur schnell raus. Es sind Schüsse gefallen», berichtete Claus Kraft (36) aus Murr am Neckar nach seiner Landung in Düsseldorf. Er hatte in der Küstenstadt Zarzis Urlaub gemacht. «In der Stadt war überall Polizei.» Die Schüsse seien auf dem Markt der Stadt gefallen, später habe er erfahren, dass dort vier Menschen ums Leben gekommen seien - darunter auch ein Mitarbeiter der Hotelrezeption.

Auch die Angehörigen waren erleichtert. «Wir haben uns große Sorgen gemacht», sagte Brahim Hamir (43) aus Recklinghausen, der am Flughafen seine Angehörigen erwartet hatte. Kurz vor dem Abflug hatte er noch telefonisch in Erfahrung gebracht, dass es seinen Verwandten gut geht.Rückkehrer Rudolf Schmidt-Kasper (55) aus Mengen lag am Morgen noch am Pool. Auch er hatte die Demonstrationen am Markt in Zarzis mitbekommen. Der Tourist Hans aus Essen wäre gerne noch länger geblieben. Der 75-Jährige, der seinen Nachnamen nicht sagen wollte, hatte den Nachmittag noch am Strand verbracht. Als er zurückkam, habe der Hotelchef ihm gesagt, dass er seine Sachen packen müsse. Danach ging es zum Flughafen.

Ilse Gwiasda berichte nach der Rückkehr in Berlin: Als sie auf ihr Hotelzimmer zurückkehrte, fand sie einen Zettel mit der Nachricht, dass sie in wenigen Minuten in der Hotelhalle sein solle, um zum Flughafen zu fahren. Sie saß in einer von zwei Maschinen, die am Freitagabend in Berlin landeten. Mit an Bord auch Passagiere aus Frankfurt, Hannover, Detmold und zahlreichen anderen Städten.Von Berlin sollte es mit Bus und Bahn weiter Richtung Heimatstadt gehen. Als erstes brachen die Hamburger auf. Andere mussten in der Bundeshauptstadt im Hotel übernachten. Manche Touristen hatten erst an Bord des Fliegers aus der Zeitung vom Ausmaß der Proteste erfahren.

Auch TUI holt Urlauber zurück

Der größte deutsche Reiseveranstalter TUI holt alle seine Urlauber umgehend aus dem von Unruhen erschütterten Tunesien zurück. Wie das Unternehmen am Samstag in Hannover mitteilte, sollen noch am selben Tag alle Touristen aus dem nordafrikanischen Land ausgeflogen werden. “Die Vorbereitungen für eine zügige Evakuierung unserer Gäste laufen auf Hochtouren“, sagte der Leiter des TUI-Krisenstabes, Ulrich Heuer. TUI hat rund 1.000 Urlauber in dem Land.

Erste Transferbusse seien auf dem Weg in die Hotels, um Reisende zu den Flughäfen zu bringen. Alle Urlauber der TUI seien wohlauf, versicherte das Unternehmen. Neben den ohnehin für Samstag geplanten Rückflügen sollten Sondermaschinen von TUIfly und der tunesischen Fluggesellschaft Nouvelair zum Einsatz kommen. Die ersten Flüge sollten aus Djerba kommend gegen 17.30 Uhr in Hannover und 18.30 Uhr in Frankfurt am Main landen. Der Touristikkonzern entschied zudem, alle geplanten Flüge bis einschließlich 24. Januar abzusagen. Die Kunden würden aktuell informiert. “Wir rechnen nicht mit einer schnellen Stabilisierung der Situation“, sagte Heuer. Es sei daher derzeit nicht zu verantworten, weitere Urlauber nach Tunesien zu schicken. Bereits am Freitag hatte der Reiseveranstalter Thomas Cook Touristen aus Tunesien zurück nach Deutschland geholt.

Ehemaliger Ministerpräsident wird Überganspräsident

Nach der Flucht von Präsident Zine el Abidine Ben Ali hat der bisherige Ministerpräsident Mohamed Ghannouchi die Macht in Tunesien übernommen. „Ab sofort übernehme ich die Funktionen des Präsidenten der Republik“, erklärte der am 18. August 1941 in der Küstenstadt Sousse geborene Ökonom im Staatsfernsehen. Der in Frankreich – der einstigen Kolonialmacht – ausgebildete Technokrat gehörte seit langem zu den Gefolgsleuten des geflohenen Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali.

Obwohl er als gemäßigt und sowie als guter Vermittler gilt, belastet ihn nach Ansicht vieler Tunesier nicht nur seine bisherige Nähe zur alten Regierung. Oppositionelle werfen ihm auch vor, dass nach der Verfassung eigentlich der Parlamentspräsident die Macht ausüben müsste. Ghannouchi hatte während der Proteste zudem das harte Vorgehen des Staates gegen die Demonstranten verteidigt.

Das Militär rückt aus

Heute marschierte Militär im Stadtzentrum auf, zwischen den Rauchsäulen am Himmel kreisten Helikopter. Brandstifter hatten in der Nacht Feuer in einem Bahnhof und einem Supermarkt in Tunis gelegt, der Ben Alis Schwiegersohn gehört. Auch andere Gebäude von Ben Alis Familie waren Ziele der Demonstranten.

Die Hintermänner der Plünderungen in Tunesien blieben vorerst im Dunkeln. Kriminelle Banden hätten von dem Chaos profitiert und Geschäfte geplündert, sagte der Oppositionspolitiker Mustafa Ben Jaafar am Samstagmorgen dem französischen Sender France Info. Auch Verwaltungsgebäude seien angegriffen worden. Vor Reportermikrofonen äußerten mehrere Tunesier dagegen den Verdacht, dass Angehörige der Miliz das Machtvakuum nutzten und an Plünderungen beteiligt wären.