Von Bonn nach Berlin: Die Möbelpacker der Nation

16.6.2011, 20:58 Uhr
Das Kanzleramt in Berlin.

© dpa Das Kanzleramt in Berlin.

Wolfgang Schäuble will sich nicht noch einmal den Mund verbrennen. Er werde sich in der Frage eines kompletten Regierungsumzuges „nicht besonders stark“ engagieren, kündigte er vor kurzem an. Seine Verdienste um Berlin hat er sich ohnehin längst erworben. Hätte Schäuble am 20. Juni 1991 vor dem Bundestag nicht solch eine flammende Rede gehalten, dann wäre Bonn vielleicht nicht mit äußerst knappen 17 Stimmen unterlegen.

„Faire Teilung“

Damals beschlossen die Abgeordneten, dass Deutschland mit einer Doppellösung leben müsse. Es werde eine „dauerhafte und faire Arbeitsteilung zwischen der Bundeshauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn“ geben, hieß es im entsprechenden Gesetz. Sechs Ministerien, darunter die Ressorts Verteidigung und Gesundheit, sollten ihren Hauptsitz am Rhein behalten, der Rest musste (oder durfte) an die Spree wechseln. Der größte Teil der ministerialen Arbeitsplätze war für Bonn vorgesehen.

Von Bonn nach Berlin: Die Möbelpacker der Nation

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Genau das stört viele Politiker aus Regierung und Opposition nun. Sie halten die knapp zehn Millionen Euro, die jedes Jahr für Dienstreisen zwischen den beiden Städten ausgegeben werden, für überflüssig. Die Beamten könnten sehr viel effektiver arbeiten, wenn sie nicht immer wieder Zeit im Flugzeug, im Auto oder im Zug verbringen würden. Öffentlich sagen traut sich das kaum einer, denn da reagieren die Bonner und die Nordrhein-Westfalen sehr empfindlich.

Der in dieser Angelegenheit alles andere als unparteiische Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin, lässt keine Gelegenheit aus, für eine Komplettlösung zu werben. Gerade erst warf er der Kanzlerin vor, sich „völlig unentschlossen“ zu verhalten. Eduard Oswald, Vizepräsident des Bundestages und Ex-Bauminister, widerspricht Wowereit. Der CSU-Politiker sieht weder eine Mehrheit für eine Neuverhandlung des Berlin-Bonn-Gesetzes noch würde er das „aus Gründen des Föderalismus“ für gut halten. Eines gibt er aber zu: Obwohl er selbst 1991 für Bonn gestimmt habe, sei der Umzug „rückblickend betrachtet“ richtig gewesen.

Die Praktiker in der Regierung haben übrigens längst ihren eigenen Weg gefunden, das Gesetz zu umgehen. Durch — eigentlich verbotene — Personalumschichtungen sorgten sie dafür, dass inzwischen 10000 Mitarbeiter in Berlin arbeiten und nur noch 8000 in Bonn. Binnen dreier Jahre wurden die Mehrheitsverhältnisse klammheimlich umgedreht. Wer Karriere machen will, der hält sich ohnehin in der Nähe des „Hofes“ auf, also im Umfeld des Ministers. Die Ressortchefs selbst lassen sich nur selten am Rhein blicken.

Durch Um- und Neubauten wird die Bundeshauptstadt sowieso immer attraktiver. So bezog etwa Norbert Röttgen vor kurzem ein neues Dienstgebäude im Herzen von Berlin, obwohl auf dem Papier der Schwerpunkt seines Hauses in Bonn liegt.

Ähnliches gilt für das Verteidigungsministerium. Eine Expertenkommission zur Umstrukturierung der Bundeswehr empfahl sogar im vergangenen Jahr, den Standort auf der Bonner Hardthöhe aufzugeben. Was derzeit ja rein rechtlich gar nicht möglich wäre.

Die Deutschen haben ihr Urteil offensichtlich längst gefällt. Eine Umfrage des Instituts Emnid im Auftrag der Zeitschrift Focus ergab eine klare Mehrheit. 63 Prozent der Bundesbürger wollen demnach einen einzigen Regierungssitz. Nur 35 Prozent können der Aufteilung etwas abgewinnen.

Lösung in vier Jahren?

Eberhard Diepgen, Berliner Rekord-Bürgermeister, rechnet damit, dass es bis zum Komplettumzug noch drei bis vier Jahre dauern wird. Das halten viele für illusorisch. Gerade die in NRW stark verwurzelten Volksparteien wollen das größte Bundesland nicht verprellen.

Das war übrigens schon vor 20 Jahren so gewesen. Hätten nur SPD und CDU das Sagen gehabt, dann würden Bundestag und Regierung heute noch in Bonn sitzen.

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