Warnstreikwelle erreichte ihren Höhepunkt

9.3.2012, 05:00 Uhr
Warnstreikwelle erreichte ihren Höhepunkt

© Stefan Hippel

Markus Lotter arbeitet beim Abfallwirtschaftsbetrieb in Nürnberg (ASN). Als Müllwerker sammelt er volle Tonnen am Straßenrand oder in Hinterhöfen, kippt den Inhalt in den Schlund des Müllwagens. Heute allerdings bleiben viele Tonnen stehen. Denn er und rund 100 seiner Kollegen haben sich dem Warnstreik von ver.di angeschlossen.

6,5 Prozent mehr Lohn will die Dienstleistungsgewerkschaft für Beschäftigte im öffentlichen Dienst, mindestens aber einen monatlichen Gehaltszuwachs von 200 Euro. Lotter steht zu den Forderungen. „Wir buckeln uns kaputt und das Geld reicht hinten und vorne nicht“, sagt der Vater einer kleinen Tochter. Die Folge: Der 31-Jährige muss zu seinem Nettolohn von 1300 Euro dazuverdienen — mit einem Wochenend-Job bei einem privaten Sicherheitsdienst. Insgesamt arbeitet er pro Woche rund 50 Stunden, Frau und Kind sieht er so nur selten.

Aber nicht nur er und seine Kollegen reihen sich in den Demonstrationszug ein, der um 7.30 Uhr an der Pforte der N-Ergie in der Sandreuthstraße startet. Auch mehrere Hundert Beschäftigte des Energieversorgers sind dabei.

Zusammen pilgern sie mit Tröten, Ratschen und Transparenten ein Stück auf dem Frankenschnellweg, schwenken dann in die Kohlenhofstraße ein, blockieren den Verkehr. Einige Autofahrer zeigen trotzdem Verständnis. „Die Leute haben Recht, wenn sie streiken“, sagt eine Frau im Sportwagen.

Ohne Nebenjob geht es nicht

Am Plärrer wartet eine weitere Menschentraube in grellen Streik-Westen und mit Transparenten, um sich dem Tross anzuschließen. Es sind Mitarbeiter städtischer Kindertagesstätten, vor allem aus den Horten, die bis zum Mittag ihre Arbeit niederlegen. Dass auch Erzieherinnen ihr Gehalt mit Nebenjobs aufbessern, registriert Erni Pflaum-Steger immer öfter.

„Sie arbeiten am Wochenende an der Theatergarderobe oder im Verkauf“, so die Leiterin des Nürnberger Familienzentrums Reutersbrunnenstraße. Etwa 1200 Euro netto blieben einer pädagogischen Kraft nach fünfjähriger Ausbildung, sagt sie. „Das ist auch ein Grund, warum so wenig Männer in der Branche arbeiten.“

Treffpunkt Kornmarkt: Die Demonstranten sammeln sich, aus mehreren Richtungen strömen weitere Beschäftigte heran. Vertreten sind der Servicebetrieb öffentlicher Raum, das Gesundheitsamt, die Kraftfahrzeugzulassung, das Klinikum, die Verkehrsüberwachung, die Stadtbibliothek, das Schifffahrtsamt und die Werkstatt für Behinderte. Gemeinsam mit der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat ver.di mehr als 1600 Mitarbeiter der Stadt oder aus deren Eigenbetrieben mobilisiert. Bayernweit sind über 12.000, in ganz Deutschland rund 30.000 Beschäftigte auf die Straße gegangen.

Neben der Lohnerhöhung von 6,5 Prozent fordern die Arbeitnehmervertreter für Auszubildende im öffentlichen Dienst mindestens 100Euro mehr, plus Übernahmegarantie. Als Azubi zum Verwaltungsfachangestellten verdient ein junger Mensch im dritten Lehrjahr 700 Euro. So wie die 19-jährige Karoline. Sie rechnet vor: 550 Euro landen schließlich auf ihrem Konto, davon muss sie ein VAGMonatsticket für 77 Euro bezahlen, 40Euro gehen für das Telefon drauf. Geld für Essen und Trinken, Kleider und Sonstiges muss sie vom Rest bezahlen. „Ich bin nur froh, dass ich bei meinem Vater wohnen kann.“

Worte wie die von ver.di-Bezirksgeschäftsführer Jürgen Göppner kommen entsprechend bei ihr gut an: „Es geht um eine angemessene Wertschätzung für Eure Arbeit.“ Es könne nicht sein, dass ein „abgehalfterter Politiker“ einen Ehrensold von jährlich 200.000 Euro erhalte, aber Bund und Kommunen ihren Beschäftigten im öffentlichen Dienst während der Tarifverhandlung nicht einmal ein Angebot ablieferten.

Von Deeskalation will Göppner deshalb nichts wissen. Sollten sich die Arbeitgeber jetzt nicht bewegen, „dann werden es mehr als 1600 Beschäftigte sein, die in den Ausstand gehen.“ Auch das Klagelied über leere Kassen, das Städte und Gemeinden regelmäßig anstimmen, wollen weder Göppner noch Renate Sternatz bei der Kundgebung in Erlangen gelten lassen.

Auch dort waren gestern auf dem Rathausplatz rund 900, dass zu hohe Löhne die Ursache für die Verschuldung der öffentlichen Hand wären. Um Abhilfe zu schaffen sei es laut Sternatz an der Zeit, Vermögende höher zu besteuern als bisher. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst hingegen erbrächten „gute und verlässliche Dienstleistungen bei unterirdischen Arbeitsbedingungen“ und hätten jetzt nach langen Jahren der Zurückhaltung ein Anrecht auf eine deutliche Gehaltserhöhung.

Verschlossene Türen

Dafür gingen auch in Fürth 500 Angestellte im öffentlichen Dienst auf die Straße und mussten sich im Gegenzug die Bürger auf Wartezeiten oder verschlossene Türen bei Behörden und städtischen Einrichtungen einstellen.

Bei der Kundgebung am Rathaus sprach unter anderem der frühere Personalratsvorsitzende der Stadt Fürth, Hans-Stefan Schuber, der die Arbeitgeber warnte: „Wir werden nicht zurückweichen.“ Ähnliche Äußerungen waren auch in Ansbach zu hören, wo vor allem Mitarbeiter der Straßenreinigung und Müllabfuhr an dem Warnstreik teilnahmen. In der Oberpfalz legten laut Angaben von ver.di insgesamt 1300 Menschen vorübergehend ihre Arbeit nieder. Allein in Regensburg blieben 25 Kindertagesstätten, Horte und Mittagsbetreuungen geschlossen.

Die Arbeitgeber zeigten sich zumindest nach außen unbeeindruckt. „Das ist ein unnötiger Schritt in die Eskalation“, sagte die stellvertretende Geschäftsführerin des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern, Anette Dassau. „Es weckt auch bei den Gewerkschaftsmitgliedern Hoffnungen, die nicht erfüllbar sind.“

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