Warum wir auf Betrüger hereinfallen

25.6.2019, 17:52 Uhr
Warum wir auf Betrüger hereinfallen

© Foto: Uni Augsburg

Victor Lustig ging in die (Rechts-)Geschichte ein, weil er 1925 – sich als Beamter ausgebend – das Eisen des angeblich abzureißenden Pariser Eiffelturm für 50 000 Dollar an einen Schrotthändler verkaufte. Ja, sogar die Terrormiliz Islamischer Staat wurde schon geprellt, indem Russinnen angeblich dem IS beitreten wollten und vorab Geld für ihre Reise in den Mittleren Osten forderten – und bekamen! Nicht immer sind die Fälle so spektakulär. Viele Maschen sind völlig ausgelutscht, klappen aber immer noch: etwa der falsche Polizist, der vor einem bevorstehenden Einbruch warnt und aus "Sicherheitsgründen" Schmuck und Bares für den Hauseigentümer aufbewahrt.

Oder der "Romance Scam": Was früher der Heiratsschwindler war, sind heute professionelle Banden, die per Datingportal die große Liebe vorgaukeln, dann aber vor dem ersten Treffen "in eine plötzliche finanzielle Notlage" geraten und die Zukünftige anpumpen.

Ebenfalls spektakulär war der Fall der deutschen Betrügerin Anna Sorokin, die von einem New Yorker Gericht gerade zu mindestens vier Jahren Haft verurteilt wurde. Sorokin hatte sich als Anna Delvey unter Manhattans Schickeria gemischt, sich als schwerreiche Millionenerbein ausgegeben und Leistungen im Wert von umgerechnet 180 000 Euro erschlichen.

"Dass die Geschädigten auf teilweise grotesken Unsinn hereinfallen, bleibt immer gleich", sagt Thiel. Sei es die wundersame Geldvermehrung durch afrikanische Schamanen oder der Rassehund-Schwindel, bei dem ein Straßenhund als Stammbaum-Vierbeiner für einen vierstelligen Betrag den Besitzer wechselt.

Eines wird bei dem Vortrag des Soziologen klar: Betrüger müssen intelligent und skrupellos sein, vor allem aber Menschenkenntnis haben, damit ihr Plan aufgeht, andere hinters Licht zu führen. Thiels Forschungsprojekt sieht so aus, dass er verurteilte Betrüger im Strafvollzug interviewt, aber auch Opfer und Ermittler; zudem wertet er Akten aus und studiert Fälle.

Die "Kunst" des Betrügens besteht laut Thiel darin, Vertrauen zum Opfer aufzubauen oder vorhandenes Vertrauen auszunutzen. Mithilfe einer Story, die wie ein drehbuchartiges Skript ausgetüftelt sein muss, wird dem Gegenüber ein Vorteil in Aussicht gestellt: das schnelle Geld, die einmalige Chance, das große Glück. "Nun bedarf es einer sorgsam choreografierten Dramaturgie. Zweifel des Opfers müssen dabei antizipiert und ausgeräumt werden."

Der Betrüger – ob er sich als Kreditgeber, wohlhabender Adliger oder erfolgreicher Geschäftsmann ausgibt – ist "der dunkle Zwilling des Geschichtenerzählers", resümiert Thiel. Wichtig sei die "Passung": Es gehe darum, zur rechten Zeit am rechten Ort die richtige Taktik an den Tag zu legen. "Das erfordert Zuhören und eine genaue Perspektivübernahme." Die Begabung der Betrüger bestehe darin herauszufinden, was das Opfer will und was nicht.

Aus Sicht des Soziologen ist der Betrug ein "Interaktionsprozess", der aus drei Phasen besteht: die Anbahnung (ein zur Masche passendes Opfer finden), die Verwicklung (mittels Täuschungstechnik) und die Vermögensabschöpfung. Allein beim Anlagebetrug entstehen jährlich Schäden in Milliardenhöhe.

Doch was hat es mit den Opfern auf sich? Sind die dumm, naiv und geldgierig? Thiels Antwort darauf: "Nein! Betrugsopfer kann im Prinzip jeder werden." Denn die Täter sorgen oft derart clever vor, dass sie Skeptiker über falsche Telefonnummern an "unabhängige Experten" weiterleiten, die in Wirklichkeit Helfer und Helfershelfer der Straftäter sind. Oft seien es gerade die intelligenten Opfer, die trotz aller Recherchen auf die Täuschung hereinfallen.

In Strafprozessen wirkt es sich übrigens für Betrüger – trotz ihrer kriminellen Energie und ihrer mitunter psychopathischen Züge – strafmildernd aus, "dass es ihnen so leicht gemacht wurde". Diese Art der "Mitschuld" der Opfer wird in der Rechtswissenschaft kritisch gesehen.

Gleichwohl: Es sind die Dollarzeichen in den Augen, die Hoffnung auf ein (materiell) besseres Leben, die baldige Erfüllung eines Traums, was die Menschen immer wieder in die Falle stolpern lässt. Nicht selten verlieren Betrugsopfer ihr Erspartes, ja das gesamte Vermögen. Doch nicht alle, die abgezockt wurden, gehen zur Polizei. "Wer sein Schwarzgeld verloren hat, wird dies nicht anzeigen", sagt Thiel. "Anderen ist ihre Leichtgläubigkeit peinlich, sie schämen sich." Und dann gibt es jene, die nicht glauben wollen, dass sie einem Straftäter aufgesessen sind.

Ein beim Vortrag in Erlangen anwesender Polizeibeamter schätzt, dass die Dunkelziffer der Betrugstaten hoch ist – weil eben die Geschädigten ihre Schmach nicht zugeben können. Präventionsprogramme seien schwierig, ebenso liefen öffentlich gemachte Warnungen ins Leere: "Vor so vielen Maschen kann man sich nicht schützen", weiß der Beamte.

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