Wenn die Seele von Flüchtlingen nicht mehr kann

14.12.2015, 20:21 Uhr
Wenn die Seele von Flüchtlingen nicht mehr kann

© Foto: Reuters/Yannis Behrakis

Die junge Frau kam mit Schmerzen im Rücken: Der tue ihr immer so weh, sagte die Äthiopierin, seit sie sich da mal im Bad gestoßen habe. Doch die Ärzte konnten keine körperlichen Ursachen finden.

Also fragte Anne Schirmer nach: Warum sie sich denn damals gestoßen habe? Da erst fing die junge Frau an, zögerlich zu erzählen. Von dem Mann, der in das Bad gekommen war. Der sie vergewaltigen wollte — und wie sie dann mit dem Rücken auf die Wanne gefallen sei. Ein traumatisches Erlebnis, das seine Spuren hinterließ – auch wenn die körperlichen Symptome auf den ersten Blick nichts mit dem sexuellen Übergriff zu tun haben.

Anne Schirmer hat viele solcher Patienten. Zu der psychologischen Beraterin im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Nürnberg kommen Asylbewerber, wenn ihre Seele streikt. Betroffene gibt es viele, Experten gehen davon aus, dass bis zu 60 Prozent aller Flüchtlinge unter einer psychischen Erkrankung leiden.

Denn viele Fluchtursachen führen zu einer Traumatisierung: Besonders gefährdet ist, wer gefoltert wurde, aber auch wer im Krieg das Leid anderer miterleben musste oder nahe Angehörige verloren hat. Frauen wiederum werden Opfer ganz spezifischer Gewalt: Durch Zwangsverheiratungen, Genitalverstümmelungen oder auch Vergewaltigungen.

Und manch Schlimmes kann ihnen auch während ihrer Flucht widerfahren, immer wieder gibt es Berichte von Frauen, die zur Zwangsprostitution gezwungen oder von Schleppern missbraucht wurden. Im Asylverfahren kommt das oft nicht zur Sprache – manche Betroffene schämen sich für das Erlittene. Andere wiederum sind gar nicht in der Lage, davon zu berichten; zu verstörend ist ein Denken an das Vergangene, eine Amnesie blockiert die schlimmen Erinnerungen.

Wenn die Seele von Flüchtlingen nicht mehr kann

© Foto: Diakonie

Das Verheerende daran: Dadurch werden manche Anträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zurückgewiesen, obwohl es echte Asylgründe gibt – die aber aufgrund der psychischen Erkrankung nicht zur Sprache kommen, sagt Anne Schirmer auf einer Tagung der Evangelische Konferenz für Familien- und Lebensberatung sowie des Fachverbands für Psychologische Beratung und Supervision in Nürnberg.

Diese Blockaden lösen kann ein Therapeut: Der nachfragt, der Zeit für Gespräche hat — wenn auch nicht so viel, wie Schirmer und ihre Kollegen es sich wünschen würden. Denn das Psychosoziale Zentrum Nürnberg muss mit nur zwei Vollzeitstellen den Bedarf für ganz Nordbayern abdecken. Aktuell werden hier rund 55 Patienten betreut – auf der Liste stehen etwa 90, doch die Wartezeit auf einen Termin beträgt eineinhalb Jahre. Vielen, die eigentlich eine Therapie brauchen, kann also gar nicht geholfen werden.

Zermürbendes Warten

Dabei verstärkt sich mitunter die Traumatisierung in Deutschland: Am Ende der Flucht, endlich am Ziel angekommen, fallen einige in ein Loch; verstärkt wird das durch die schwierige Situation in den Gemeinschaftsunterkünften und das zermürbende Warten auf den Asylbescheid — bis der kommt, können Jahre vergehen.

Dabei müsste auch die Gesellschaft — abseits von der ethischen Verpflichtung — ein Interesse daran haben, die Flüchtlinge aus ihrer Trauma-Spirale zu holen, sagt Schirmer. Denn wer unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung oder einer Depression leidet, ist längst nicht so leistungsfähig wie ein Gesunder. Sollen die betroffenen Asylbewerber jemals in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden, ist eine Therapie nötig. Und dafür brauche es genügend Kapazitäten.

Doch bisher gebe es kaum positive Signale: Bei der jüngsten Personalaufstockung im Sozialdienst ging das Psychosoziale Zentrum leer aus.

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