Wie Stadtteilmütter bei der Integration helfen

25.7.2016, 17:00 Uhr
Wie Stadtteilmütter bei der Integration helfen

© dpa

NÜRNBERG — Mohn, Käse oder doch Nuss? Zahre Ahmad wiegt den Kopf hin und her, alles ist so süß, so lecker. Dann steht ein Stück aus Blätterteig, belegt mit Apfelspalten, darüber ein wenig Zimt und Zucker, vor ihr, Zahre Ahmad nimmt einen Bissen vom Kuchen, legt die Gabel wieder hin, kaut langsam und sorgsam. Wartet. Beißt wieder ab, kaut, genießt.

Der Ramadan ist gerade vorbei und damit der Monat, in dem jeder gläubige Muslim tagsüber fastet, weder isst noch trinkt. Zahre Ahmad hat vier Wochen lang Cafés gemieden – wenn man selber nichts zu sich nimmt, will man auch niemanden sehen, der am Cappuccino schlürft oder sich eine Torte zwischen die Zähne schiebt. Aber an den Tagen danach, sagt sie, ist Essen und Trinken etwas ganz Besonderes.

Zahre Ahmad, 39 Jahre alt, ist Muslima. Das blaue Kopftuch hat sie eng um den Kopf gebunden und sorgsam um den Hals gelegt. Vor 14 Jahren verließ sie den Irak und beantragte hierzulande Asyl. Zwei Kinder kamen noch im Irak zur Welt, eines in Nürnberg. Sie spricht deutsch mit einem Akzent, mitunter sucht sie nach einem Wort. Und manchmal hört sie sich sehr fränkisch an. „Ja, freilich“, sagt sie dann.

Fränkische Befindlichkeiten

„Nürnberg ist für mich Zuhause.“ Ihr Mann träumte lange davon, in den Irak zurückzugehen. „Ich nicht. Ich bleibe hier.“ Dabei war der Start nicht einfach: Die Sprache war fremd, die Kultur ebenso. Dazu die Ungewissheit, ob der Asylantrag anerkannt werden würde. Es war ein Neuanfang — nur ohne all die romantische Begleitmusik, an die man bei diesem Wort mitunter denkt. Familie Ahmad fing ganz unten bei null an, sie musste viel lernen über Deutschland und deutsche Befindlichkeiten.

Samira Saleh (Name geändert), 33 Jahre, eine schmale Frau mit leiser Stimme und sorgfältig drapierten blau-weißem Kopftuch, steckt noch mittendrin in diesem Umbruch. Seit einem guten Jahr lebt sie in Nürnberg. „Eine schöne Stadt“, sagt sie auf Arabisch, Zahre Ahmad dolmetscht. Und nicht nur an diesem Tag: Zahre Ahmad ist für Samira Saleh und ihre Familie eine Lotsin durch den deutschen Alltag. Sie erklärt Gewohnheiten und Verhaltensweisen, übersetzt Briefe, schaut sich Schriftstücke von Ämtern an und begleitet Samira Saleh mit ihrem behinderten Sohn zum Arzt. „Ich weiß, wie schwierig es am Anfang ist, sich zurechtzufinden“, sagt Ahmad. „Mir hat damals niemand geholfen.“ Andere sollen es leichter haben.

Wie Stadtteilmütter bei der Integration helfen

© Michael Matejka

Es ist das Konzept der Stadtteilmütter, einem Projekt der Nürnberger Stadtmission: Frauen mit Migrationshintergrund – sie stammen zum Beispiel aus der Türkei, aus Aserbaidschan, den ehemaligen GUS-Staaten – helfen anderen, die erst vor kurzem nach Deutschland gekommen sind. Von Mutter zu Mutter. Sie kennen die Probleme, Erwartungen und Herausforderungen aus eigener Erfahrung – oft geht es um das Suchen von Wohnungen oder Jobs, um den Umgang mit Ämtern und dem Schulsystem. Und über die Mütter profitieren auch deren Kinder und Männer von der Unterstützung.

„Die Stadtteilmütter sollen dazu beitragen, dass sich die Familien bei uns heimisch fühlen“, sagt Alexandra Frittrang von der Stadtmission. Das Projekt gibt es in mehreren deutschen Städten und seit sechs Jahren in Nürnberg, 24 Familien werden hier aktuell von 19 Stadtteilmüttern betreut. Über weitere würde man sich freuen, heißt es bei der Stadtmission, der Bedarf ist seit der Flüchtlingskrise so hoch wie nie – Hunderttausende Menschen kamen nach Deutschland und müssen nun integriert werden. Wer soll besser wissen wie das klappt, als die, die diesen Prozess schon durchlaufen haben.

Zumal die Sozialträger manche Familien mit Migrationshintergrund nicht erreichen, Hilfsangebote werden selten in Anspruch genommen. Die Stadtteilmütter hingegen finden eher Zugang, das hat auch eine Studie von Forschern der Charité Universitätsmedizin gezeigt, die Stadtteilmütter in Berlin begleitet haben. Sie fungierten als „eine Brücke für Familien in das soziale System“, erklären die Wissenschaftler. Das Wissen der betreuten Frauen sei gestiegen, ebenso die Erziehungskompetenz, ihr Selbstbewusstsein, die Alltagskompetenz und Deutschkenntnisse.

„Respekt und Pünktlichkeit“

Frau Ahmad, welchen Rat geben Sie Ihren Schützlingen, damit die Integration auch klappt? „Respekt und Pünktlichkeit“, sagt sie und lächelt leicht. Zur Verabredung im Café war sie schon Minuten vor der ausgemachten Zeit. „Ich bin da inzwischen deutscher als viele Deutsche.“

Sprache ist sehr wichtig, ohne sie ist der Kontakt zu Deutschen schwierig, ergänzt Samira Saleh auf Arabisch. Zahre Ahmad übersetzt, nickt und zählt die Kurse auf, die sie alle schon besucht hat, es fehlt nur noch C2 – „annähernd muttersprachliche Kenntnisse“. „Ich spreche besser Deutsch als mein Mann.“ Frauen, ist Zahre Ahmad überzeugt, integrierten sich ohnehin leichter als Männer. Sie sind kommunikativer, haben über ihre Kinder viel Kontakt zu anderen. Auch daher konzentriert sich das Projekt „Stadtteilmütter“ auf Frauen.

Es soll im Übrigen in zwei Richtungen wirken, sagt Alexandra Frittrang: Die Stadtteilmütter profitieren ebenfalls. Oft sind sie nur in Hilfsjobs untergekommen, nun werden gebraucht und wertgeschätzt. Dadurch steigt der soziale Status: Viele Frauen erfahren eine Anerkennung durch die Familie und das soziale Umfeld, schreiben auch die Berliner Wissenschaftler in einem Bericht, nachdem sie das Projekt in Kreuzberg drei Jahre begleiteten. Gleichzeitig qualifizieren sich Frauen weiter, die Wahrscheinlichkeit, dass sie im ersten Arbeitsmarkt unterkommen steigt.

Sie habe im Irak das Abitur gemacht, erzählt Zahre Ahmad, doch die Unterlagen blieben dort. Hier blieben ihr nur Saisonarbeit oder Verkäuferjobs. Ihr Traum: Eine richtige Arbeit zu finden, am liebsten als Dolmetscherin. Bis dahin arbeitet sie als Stadtteilmutter. Ehrenamtlich zwar und ohne Bezahlung. Aber ihr Engagement, sagt Zahre Ahmad, lohne sich. Nicht nur für Samira Saleh, sondern auch für sich selber.