"Wirksame Drogenpolitik": Mortler ist mit sich zufrieden

24.2.2018, 06:00 Uhr
Marlene Mortlers Zeit als Drogenbeauftragte geht zu Ende. "Ich habe fast alles umgesetzt, was ich mir vorgenommen hatte", sagt sie stolz.

© Michael Matejka Marlene Mortlers Zeit als Drogenbeauftragte geht zu Ende. "Ich habe fast alles umgesetzt, was ich mir vorgenommen hatte", sagt sie stolz.

NZ: Frau Mortler, macht es Sie traurig oder sind Sie erleichtert, wenn demnächst Ihre Amtszeit als Drogenbeauftragte der Bundesregierung ausläuft?

Marlene Mortler: Ich bin erst einmal zufrieden, weil wir in einem wirklich schwierigen Politikfeld mit vier Jahren wirklich harter Arbeit viel erreichen konnten.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Fachministerien?

Mortler: Mit dem Gesundheitsministerium war sie natürlich ganz eng – ich wurde ja auch von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe vorgeschlagen und sitze mit meinem Stab im Hauptgebäude des Ministeriums. Aber auch mit den anderen Häusern lief es erstaunlich gut. Zum Beispiel hat das Entwicklungshilfeministerium von Gerd Müller auf meine Bitte hin ein wirklich großes Projekt aufgelegt, in dem es um Alternativen zum Drogenanbau und neue Ansätze in der internationalen Drogenpolitik geht – unter meiner politischen Steuerung. Mit dem Bundesinnenministerium, dem Justizministerium, mit der Ernährungs- und Jugendpolitik haben wir ebenfalls eng kooperiert. Ich habe immer deutlich gemacht, dass eine wirksame Drogenpolitik alle Ressorts braucht, sie muss sich um die Menschen kümmern, die Drogen nehmen oder nehmen könnten.

Sie standen bei der sensiblen Drogen-Thematik aber auch im Kreuzfeuer der Kritik – vor allem von außen. Zeitweise war von einem "Kifferkrieg" gegen Sie die Rede. Zehntausende forderten im Netz Ihren Rücktritt!

Mortler: Ganz ehrlich: Morddrohungen, Verleumdungen und Beleidigungen im Netz sind schon ziemlich befremdlich. Es zeigt einfach, wie verroht die digitale und inzwischen auch die reale Diskussion sein kann. Ich habe mir das erspart, diese Kommentare ignoriert und mich davon nicht beirren lassen. Der Eindruck, den man im Netz erhält, ist ja nicht repräsentativ. Die meisten Menschen im Land denken ganz anders über unsere Themen, gerade auch über das Kiffen. Manchmal hatte ich fast das Gefühl, dass sich bei den Hetzern im Netz die Folgen des eigenen Drogenkonsums von ihrer schlimmsten Seite zeigen, so verrückt war das mitunter.

 "Der Stoff ist heute viermal so stark wie vor 20 Jahren"

Inzwischen gibt es sogar amerikanische Bundesstaaten, in denen der Erwerb von Cannabis legal ist. Warum sind Sie so strikt gegen eine Legalisierung hierzulande?

Mortler: Was mir wichtig ist, ist eine differenzierte Cannabispolitik. Deswegen haben wir auf meine Initiative hin für schwerkranke Menschen die Möglichkeiten, Cannabis in Apotheken zu erhalten, deutlich erweitert und dafür gesorgt, dass die Kassen unter gewissen Voraussetzungen die Kosten übernehmen. Aber hier geht es um die Behandlung sehr kranker Menschen. Beim Konsum zu Rauschzwecken ist die Lage eine ganz andere. Auch andere Medikamente darf man nicht zum Spaß nehmen. Wir wissen heute sehr genau, wie gefährlich Cannabis gerade für Jugendliche und junge Erwachsene sein kann. Der Stoff ist heute viermal so stark wie vor 20 Jahren. Es geht um das Risiko bleibender Gehirnschäden.

Ist es sinnvoll, den Cannabis-Gebrauch weiter strikt zu kriminalisieren? FDP, Linke und Grüne fordern ja eine generelle Freigabe.

Mortler: Wenn es nach mir ginge, können wir das Betäubungsmittelrecht ein Stück weit umbauen und alle, die wegen des Besitzes kleiner Mengen Cannabis zum Eigengebrauch aufgegriffen werden, vor die Wahl stellen: Akzeptiere ich eine mögliche Strafe oder stelle ich mich meinem Drogenkonsum, lasse mich beraten und bleibe straflos? Das wäre pragmatisch.

Sie haben sich mehrmals stolz darüber geäußert, dass in Deutschland immer weniger Zigaretten geraucht werden, vor allem von Jugendlichen. Was sagen Sie dazu, dass gleichzeitig junge Menschen nun häufiger zu Wasserpfeife und E-Zigaretten greifen?

Mortler: Das ist in der Tat eine bedenkliche Entwicklung. Viele Jugendliche wissen gar nicht, was sie da konsumieren. Viele denken sogar, bei der Wasserpfeife würde der Rauch durch das Wasser quasi gereinigt. Das ist natürlich Unsinn. Das Deutsche Krebsforschungszentrum warnt: Wer mit seinen Freunden eine Stunde die Wasserpfeife kreisen lässt, der nimmt von einigen Schadstoffen so viel auf, als würde er hundert Zigaretten rauchen. Klar ist, dass wir in der Präventionsarbeit auch auf diese neuen Trends reagieren müssen, was auch passiert.

Sie nehmen Anstoß daran, dass in Filmen oft geraucht wird und sehen darin eine Gefahr für junge Zuschauer. Es wird aber doch auch häufig auf der Leinwand Alkohol getrunken. Man denke nur an James Bond...

Mortler: Leider wird auf der Leinwand heute mehr getrunken und geraucht als im echten Leben. Studien zeigen, dass Film und Fernsehen gerade bei Jugendlichen Einfluss darauf haben, was sie für normal halten. Ich will das alles nicht verbieten – darum geht es nicht. Mein Eindruck ist aber, dass sich die Film- und Fernsehwirtschaft dieser Wirkungen überhaupt nicht bewusst ist. Nach 22 Uhr gibt es sogar richtige Sauf-Shows im Fernsehen, die gerade ein junges Publikum ansprechen. Für mich ist klar: Mit Rauchen, Saufen und Kiffen darf man keine Quote machen.

120.000 Tabaktote im Jahr

Ist der Alkohol nicht das eigentliche Suchtproblem? Immerhin sterben hierzulande jährlich 70.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholkonsums. Auch werden ein Drittel aller Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen.

Mortler: Tabak- und Alkohol sind mit Abstand die größten suchtpolitischen Herausforderungen. Am Tabakkonsum sterben sogar etwa 120.000 Menschen im Jahr. Immerhin haben wir sowohl beim Rauchen, als auch beim Alkohol eine gewisse Trendwende geschafft. Heute raucht nur noch jeder zehnte Jugendliche. Vor 20 Jahren waren es dreimal so viele. Auch beim Alkohol ist der Konsum rückläufig, und das gerade bei jungen Leuten.

Wie kann bei Jugendlichen, die ja diesem Suchtmittel meistens gar nicht ausweichen können, eine Alkoholprävention gelingen?

Mortler: Indem man Jugendlichen dabei hilft, "Nein" zu sagen. Indem wir ernsthafte Suchtprävention in der Schule machen. Ich habe deshalb durchgesetzt, dass der Bundestag jedes Jahr eine halbe Million Euro für das Projekt "Klasse 2000" zur Verfügung stellt. Mit diesem Projekt zur Lebenskompetenzentwicklung haben wir allein im letzten Jahr 450.000 Schülerinnen und Schüler in 20.000 Klassen erreicht. Noch wichtiger ist aber, dass wir Erwachsenen einen klaren Kompass haben und mit gutem Beispiel voran gehen. Wenn ich als Mutter oder Vater jeden Abend zur Flasche greife, dann werde ich meinem Kind kaum vermitteln können, dass das nicht der richtige Weg ist.

Gefährliche synthetische Drogen, die nicht einmal unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, sind heute etwa als "Badesalz" günstig im Internet zu haben. Was läuft da falsch?

Mortler: Genau wegen dieser Gefährdung ist im vergangenen Jahr das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz, kurz NpSG in Kraft getreten. Es verfolgt in erster Linie das Ziel, gegen Hersteller und Händler neuer psychoaktiver Stoffe vorzugehen und nicht gegen die Konsumenten. Gegen die Hersteller und Händler im Ausland haben wir bisher jedoch kaum etwas in der Hand. Hier gilt es, sich international besser aufzustellen und zu vernetzen. Auch das passiert gerade. Wichtig ist aber: Das NpSG hilft den Behörden, auf deutschem Boden gegen diese hochgradig gefährlichen Stoffe vorzugehen. Das ist ein erster Erfolg, auf den wir aufbauen müssen.

Was zählen Sie zu Ihren größten Erfolgen als Drogenbeauftragte?

Mortler: Bis auf das Verbot der Tabakaußenwerbung, für das ich mit aller Kraft gekämpft habe, habe ich wirklich fast alles umgesetzt, was ich mir vorgenommen hatte. Die ganz großen Brocken waren das NpS-Gesetz, die Tabak-Schockbilder, die Fortentwicklung der Heroin-Substitution und das Cannabis-als-Medizin-Gesetz. Persönlich sehr wichtig war mir auch, dass wir bei den Themen Schädigungen durch Alkohol in der Schwangerschaft, Crystal Meth und Internetabhängigkeit vorankommen. Zuletzt war es das Thema Kinder aus suchtbelasteten Familien. Drei Millionen Kinder leben in Deutschland mit einem suchtkranken Elternteil, und kaum jemand spricht darüber. Dabei brauchen viele von ihnen unsere Hilfe, um nicht selbst später krank zu werden. Sie sind eine der vergessenen Gruppen im Land.

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